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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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Das Schlußwort 'fuga' bedeutet Landesflucht, Exil und - Verbannung!<br />

Wie Horaz den "besseren Teil" bei drohender Ver<strong>nicht</strong>ung eines<br />

schuldbeladenen Staatsganzen zu retten sucht, darin zeigen sich<br />

beachtenswerte Entsprechungen zu dem Ausspruch über das »beste<br />

gut« bei George. Die Errettung der "frommen", der "pia gens"<br />

kommt <strong>nicht</strong> als göttlicher Gnadenakt wie die Schonung der 50<br />

Gerechten in der <strong>Bibel</strong>. Der" bessere Teil" vermag sie selbst zu erwirken,<br />

wenn er den harten Weg der Verbannung, der Auswanderung<br />

geht. Faßt man in der Wendung Georges: »wenn <strong>nicht</strong> ihr bestes gut<br />

zum banne geht«, das Wort Ban n als gleichbedeutend mit<br />

Ver ban n u ng auf - was dichterischem Wortgebrauch nach durchaus<br />

möglich ist 17 -, so ergibt sich ein ähnlicher Sinn wie bei Horaz.<br />

In die Verbannung gehn setzt eigenen Entschluß voraus. (Anders<br />

als verbannt werden, wo Beschlüsse anderer befolgt werden.) Gedacht<br />

ist also - alles deutet darauf hin - an eine Verbannung ähnlicher<br />

Art, wie sie das berühmte horazische Gedicht zeigt: die Selbstverbannung,<br />

das freiwillige Auswandern einer exsecrata civitas.<br />

Die Formulierung »wenn <strong>nicht</strong> ihr bestes gut zum banne geht«<br />

bekundet eine spürbare Ungewißheit: es wird eine schwer zu hoffende<br />

Lösung aufgezeigt. Besteht das 'zum Banne gehn' in freiwilliger<br />

Auswanderung nach Weise der 16. Epode, so finden sich bei<br />

Horaz die Gründe, die solcher Lösung entgegenstehen. Exil bedeutet<br />

seit alters ein zu schweres Los, als dass es freiwillig auf sich<br />

genommen wird. Vor allem aber: es gibt kein Ziel, wohin die Auswanderung<br />

gehen könnte. Mit aller Eindringlichkeit zeigt Horaz,<br />

wie aus dem fluchbeladenen Römerreich kein Entkommen möglich<br />

war. Es hätte schon seliger Inseln bedurft, - und die gibt es<br />

<strong>nicht</strong>.<br />

So wußte aber auch George, dass in der Weltlage, die sein Gedicht<br />

schildert, kein Ort denkbar wäre, wohin man hätte »zum<br />

17 Goethe braucht mehrmals "Bann" für "Verbannung" (z.B. DIE NATÜ RLICHE TOCHTER,<br />

V. 2277). So auch George selbst in DER LETZTE DER GETREUEN (DAS NEUE REICH, Gesamt­<br />

Ausgabe Bd. 9, S. 133); in der Danteübertragung, Gesamt-Ausgabe Bd. 10/ 11,<br />

S. 109, FEGEFEUER Gesang 21 (in Bezug auf die Verbannung Dantes, ital. bando,<br />

v.102).<br />

20<br />

banne gehn« können. Im selben Jahre 1917, da DER KRIEG erschien,<br />

schrieb der Dichter einem Freund, der an Auswanderung dachte:<br />

"Ein entrinnen gibt es jetzt <strong>nicht</strong> [ ... ] Es gibt keine 'stillen Inseln'<br />

mehr und selbst wenn man hinflüchten könnte so ist keine bürgschaft<br />

ob das lang so bleibt. Allmählich wird alles in das gewirr<br />

hineingerissen und es muss so sein. Ich weiss das genau. "18 Viel<br />

spricht dafür, dass George auf das Bild <strong>von</strong> den stillen Inseln zu<br />

damaliger Zeit geführt wurde durch Beschäftigung mit dem horazischen<br />

Gedicht, worin das Fehlen <strong>von</strong> seligen Inseln alle Selbstverbannungsideen<br />

utopisch macht.<br />

Die 16. Epode behandelt das Auswanderungsthema - darauf<br />

beruht ihr Ruhm als politisches Gedicht - in vorsätzlich irrealer<br />

Weise. Auswanderung der Besseren ist kein reales Geschehen, das<br />

erzählerisch dargestellt wird. Von ihr spricht der Dichter nur in<br />

Form eines Rats. Er setzt sie als Idee, Wunschbild, Hypothese der<br />

politischen Wirklichkeit entgegen. Da einem fluchbeladenen Staat<br />

der Untergang droht, wäre Auswanderung die einzig richtige Tat<br />

und Antwort. Wie Horaz auf die Unrealisierbarkeit seines Ratschlags<br />

hinweist, daraus ergibt sich die Hauptbotschaft seines Gedichts.<br />

Es charakterisiert recht eigentlich eine völlig verzweifelte<br />

politische Situation. An diese Botschaft erinnerte Platen, als er die<br />

Gesamtheit der Polen zur Auswanderung aufforderte. Für ein ganzes<br />

Land war das ein undurchführbarer Ratschlag. Als Idee kennzeichnete<br />

er aber drastisch die verzweifelte Lage Polens nach der<br />

Einnahme Warschaus.<br />

So läßt aber auch Georges Wort »wenn <strong>nicht</strong> ihr bestes gut zum<br />

banne geht« die Deutung zu: eine Möglichkeit des zum Banne<br />

Gehens, des Auswanderns mag schon gar <strong>nicht</strong> mehr bestehn; auf<br />

jeden Fall charakterisiert aber die bloße Idee, dass es aus innerer<br />

Notwendigkeit erforderlich wäre, eine völlig verzweifelt geword<br />

ne politische Situation nach Weise des Horaz-Gedichts. In DER<br />

KR ICG tritt diese Möglichkeit als Eventualität ein, wenn begangene<br />

»Blut-schmach« die Ausrottung aller nach sich zöge. Hier fallen<br />

III Rob rt Bo hringer, Mein Bild <strong>von</strong> Stefan George, 2. AufL München und Düsseldorf<br />

I 68, S. 158.<br />

21

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