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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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unter gelitten, spüren zu müssen, dass er ihm, dem "grossen Mann",<br />

so wenig bedeutete. "Ich [ ... ] sah Sie immer nur, um zu fühlen,<br />

dass ich Ihnen <strong>nicht</strong>s seyn konnte." Hier erscheint in aller wünschbaren<br />

Deutlichkeit das Motiv <strong>von</strong> dem schmerzlich empfundenen<br />

Größenunterschied, und dieses Motiv wird nun in aller Ausführlichkeit<br />

beleuchtet. Auf der einen Seite waren es "stolze Forderungen",<br />

mit denen Hölderlin sich dem "grossen Mann" näherte -<br />

Forderungen, die er dann "nothwendiger weise [. .. ] büsste". Andererseits<br />

quälte das unüberwindliche Gefühl der "eignen Armseeligkeit":<br />

"weil ich Ihnen so viel seyn wollte, musst' ich mir sagen,<br />

dass ich Ihnen <strong>nicht</strong>s wäre".<br />

Wir erhalten hier genauen Einblick in die innere Situation Hölderlins<br />

zur damaligen Zeit. Ein bestimmtes Gefühl der Armseligkeit<br />

resultierte natürlicherweise aus den bisherigen Mißerfolgen<br />

im Dichten und im Beruf. Insbesondere war es der Fehlschlag der<br />

ersten großen Anstrengung, die Hölderlin als Schaffender mit der<br />

langen Folge der Tübinger Reimhymnen unternommen hatte, der<br />

sich hier auswirkte. Während es sonst die Regel zu sein pflegt, dass<br />

große Dichter sich mit einem ersten grandiosen Wurf und Gelingen<br />

die Welt auf einen Schlag erobern, war Hölderlin, wie in so<br />

vielem anderen, auch darin glücklos, dass ihm gerade dieser Erfolg<br />

versagt blieb. Jene Hymnen hatten allzuwenig Anklang gefunden,<br />

Hölderlin selbst betrachtete sie sehr bald als verfehlt und<br />

sah sich zu einem totalen Neuanfang genötigt: dieser ist bezeichnet<br />

durch die Arbeit am HYPERION. Andererseits war in Hölderlin<br />

genau zu der Zeit, in der wir uns befinden, gerade durch die Hy­<br />

PERlON-Arbeit ein unbezweifelbares Ahnen seines eigentlichen Wertes<br />

und Ranges erwacht: der einzigartige Zauber einer halbrhythmischen<br />

Prosa hatte ihm dasjenige beschert, was ihm bislang in<br />

seinem lyrischen Schaffen versagt geblieben war - den Durchbruch<br />

zur eigenen, originellen Sageweise, den eigenen Ton. So hatte Hölderlin<br />

in Jena bereits durchaus ein Bewußtsein seiner eigenen Größe,<br />

nur dass dies <strong>von</strong> außen noch kaum bestätigt worden war. Gerade<br />

das aber machte ihm das Zusammensein mit Schiller so<br />

unerträglich. Zwar stand das Phänomen des Größenunterschiedes<br />

immer wieder unabweisbar vor seinen Augen, doch protestierte<br />

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dagegen in Wahrheit längst das innere Empfinden. Die "eigneArmseeligkeit"<br />

wurde aufs intensivste gespürt, da sie der äußern, realen<br />

Situation entsprach. Aus dem Innern aber erwuchsen bereits<br />

jene "stolzen Forderungen", die der Dichter an die Umwelt, die er<br />

an Schiller stellen, dabei nach Lage der Dinge "büssen" mußte.<br />

Diese zwiespältige Situation gilt es zu berücksichtigen, wenn man<br />

Hölderlins damaliges Verhalten wie auch die Spiegelungen in der<br />

gleichzeitigen Dichtung begreifen will. Den Minderwertigkeitsgefühlen,<br />

die aus so vielen brieflichen und dichterischen Äußerungen<br />

erkennbar werden, steht im Geheimen bereits ein starkes Wertbewußtsein<br />

zur Seite.<br />

Es liegt im übrigen in der zutiefst bescheidenen Natur Hölderlins<br />

begründet, dass er in der privaten Äußerung der Korrespondenz<br />

eher die negative als die positive Seite seiner inneren Verfassung<br />

mitteilt. So findet sich auch in dem zweiten Brief, der aus<br />

Nürtingen am 4. September 1795 an Schiller gerichtet ist, wiederum<br />

eine charakteristische Wendung, wenn es heißt, er sei eben <strong>nicht</strong><br />

wie Schiller ein "seltner Mensch".3 Auch damit ist auf das Minderwertigkeitsgefühl<br />

im Zusammenhang mit dem des Größenunterschieds<br />

hingedeutet, auf die Hauptursachen also, die Hölderlin <strong>von</strong><br />

Schiller wegtrieben. Weiter fällt in diesem Brief das gewichtige Wort,<br />

es sei ihm jetzt oft" wie einem Exulanten" zumute. Der Gedanke,<br />

ins Exil gehen zu müssen oder sich im Exil zu befinden, kehrt damals<br />

vielfach in Hölderlins Dichtungen und Briefen wieder. Im Exil<br />

Lebende, ins Exil Flüchtende sind Hyperion und Empedokles, aber<br />

auch die meisten anderen Hauptgestalten in diesen Werken; das<br />

3 Im Vorhergehenden hieß es (StA VI 181: "Ich glaube, daß diß das Eigentum der<br />

seltnen Menschen ist, daß sie geben können, ohne zu empfangen, daß sie sich auch<br />

>am Eise wärmen< können." Adolf Beck wies im Kommentar (StA VI 757) darauf<br />

hin, dass Hölderlin hier Worte Philines aus WILHELM MEISTERS LEHRJAHRE, Buch 2,<br />

Kap. 4, zitiert. Aber auch der Passus vom uneigennützigen "Gebenkönnen, ohne<br />

zu empfangen" ist im Sinne Philines gedacht. Er erinnert an jenes Philine-Wort aus<br />

Buch 4, Kap. 9, das Goethe in DICHTUNG UND WAHRHEIT als Ausdruck spinozistischer<br />

" Uneigennützigkeit" und darum als "ihm recht aus dem Herzen gesprochen" bez<br />

ichnete:" Wenn ich dich lieb habe, was geht's dich an?" War Hölderlin, der noch<br />

in Waltershausen Spi noza studiert hatte, hier ein tiefverstehender Goetheleser?<br />

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