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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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Leben (er bedurfte das früher) über Gemeines und gelegentlich-heftige Ausbrüche<br />

desselben emporgehoben, emporgehalten. Und alles dies, ohne daß<br />

er an Kraft und Freiheit des Geistes, an Festigkeit und Eigentümlichkeit des<br />

Charakters, selbst an Besonderheit des Individuellen und jener Art verloren<br />

hätte. Seit Errichtung dieser Freundschaft war er im Grunde stets bei und<br />

mit Goethen. Bei jedem Bedeutenden, das er dachte und empfand, erfuhr<br />

und tat, schwebte ihm vor: wie würde Er's ansehen, wie es aufnehmen, wie<br />

damit verfahren? [ ... ] <strong>Ihr</strong> Zusammensein hatte für einen dritten Mann, wenn<br />

dieser auch nur auf das Nächste, was vor den Sinnen lag, merken wollte -<br />

etwas Erhebendes, ja, daß ich so sage, etwas Erbauliches. Zwei hochbetagte,<br />

ganz eigentümliche, würdevolle Männer, in allem und jedem, was der<br />

äußern Welt und ihren Verhältnissen zugehört, <strong>von</strong> einander so gänzlich verschieden:<br />

in vielem und Wesentlichem, was der innern eignet, einander so<br />

nahe verwandt - einer den andern durch und durch kennend, einer dem<br />

andern in alle dem, was ihm eigen, volle Gerechtigkeit, angenehme Förderung,<br />

sorgsame Schonung erweisend - der eine mit ruhiger Freundlichkeit<br />

und heiterer Zuneigung entgegenkommend: der andere mit heller Freude<br />

und zwischendurch mit stürmischem, auch wohl barockem Enthusiasmus<br />

herausbrechend - beide ohne allen Rückhalt und <strong>von</strong> Grund aus sich gegen<br />

einander aussprechend über jedes, was sie vorzüglich und in eben dieser<br />

Zeit beschäftigt, oder absichtslos scherzhaft hinwerfend, was der Zufall<br />

und die gesteigerte Laune gibt - jeder das Beste, was er eben hat, darbringend,<br />

jeder aufs beste, wie er eben kann, aufnehmend - dann beide, losgebunden<br />

<strong>von</strong> allem Beschränkenden, fröhlich mit einander, wie Jünglinge,<br />

im Vergessen aller Welt außer den vier Pfählen am schönsten Augenblicke<br />

hangend - - noch einmal: Es hatte etwas Seelenerhebendes, ja etwas Erbauliches.<br />

Goethes Freundschaft mit Zelter<br />

Goethe und Zelter begegneten sich erstmals im Februar 1802. Sehr<br />

bald entwickelte sich zwischen beiden ein Freundschaftsverhältnis,<br />

das seiner Festigkeit und Dauer nach im Leben beider Männer<br />

<strong>nicht</strong> seinesgleichen hatte. In den drei Jahrzehntel1 ihrer .<br />

Freundschaft gab es keine Trübung, kein Nachlassen, keine Pause,<br />

wie man es sonst in fast allen menschlichen Beziehungen Goethes<br />

feststellt, die sich über vergleichbar lange Zeiträume erstrecken.<br />

Im Gegenteil, eine stetige Intensivierung charakterisiert<br />

356<br />

diesen Bund bis zu seinem Ende - und selbst dieses Ende erscheint<br />

noch wie eine letzte wundersame Steigerung. Der Tod Zelters, keine<br />

zwei Monate nach Goethes Ableben, wurde verursacht - darüber<br />

gibt es nur eine Meinung - durch den Schmerz über den Verlust<br />

des Freundes. "Excellenz hatten natürlich den Vortritt, aber<br />

ich folge bald nach" - mit diesen Worten verbeugte sich der<br />

Trauernde vor der Büste des Dichters, und in wenigen Tagen machte<br />

er seine Prophezeiung wahr.<br />

Schon 1796 war Goethe aufmerksam geworden auf Zelters<br />

Kompositionen seiner Gedichte. Diese Vertonungen sagten ihm zu,<br />

mehr als alle anderen, weil ihre schlichte Musik sich <strong>nicht</strong> vordrängte<br />

und die Aufmerksamkeit vom Dichterwort ablenkte. In<br />

diesem Sinne empfand er Zelters Lieder als "radicale Reproduction<br />

der poetischen Intentionen" (an A. W. Schlegel 18. Juni 1798).<br />

Entscheidend war für den Dichter, dass Zelter an einem Lied "den<br />

Charakter traf", während anspruchsvollere Kompositionen den<br />

Nachteil hatten, dass sie "den Eindruck des Ganzen durch vordringende<br />

Einzelnheiten zerstören" (an W. v. Humboldt 14. März<br />

1803). Darüber hinaus hat Goethe Zelter als Komponisten <strong>nicht</strong><br />

eigentlich überschätzt, wie auch bekanntlich Zelter selbst seinen<br />

Tonschöpfung.en nur einen begrenzten Wert zumaß. So bildete<br />

denn auch durchaus <strong>nicht</strong> etwa die Musik das wesentliche Fundament<br />

der Freundschaft zwischen beiden Männern. Was Goethe an<br />

Zelter bewunderte und 1iebte, war <strong>nicht</strong> in erster Linie sein fachliches<br />

Können und Wissen; den Ausschlag gaben vielmehr seine<br />

menschlichen Eigenschaften, sein Charakter, seine Persönlichkeit.<br />

Das unterscheidet die Freundschaft mit Zelter <strong>von</strong> den vielen Verbindungen<br />

Goethes mit Männern, die in bestimmten Fächern exzellierten<br />

und dadurch wertvolle Berater und Helfer wurden.<br />

War Zelter <strong>nicht</strong> genial als Komponist, so durchdrang doch<br />

Genialität sein ganzes Wesen. Durch Kraft und Energie einer<br />

außerordentlichen Persönlichkeit war er dazu geboren, Dirigent,<br />

Anführer, Mittelpunkt einer großen künstlerischen Gemeinde zu<br />

sein. So gingen <strong>von</strong> seiner Tätigkeit als Leiter der Singakademie,<br />

als Gründer der »Liedertafel« Generationen überdauernde<br />

Wirkungen aus. Liebenswürdig und attraktiv, imponierend in<br />

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