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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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zu kennen". Im folgenden heißt es: "Sie wissen es selbst, dass jeder<br />

große Mann den andern, die es <strong>nicht</strong> sind, die Ruhe nimmt, und<br />

dass nur unter Menschen, die sich gleichen, Gleichgewicht und<br />

Unbefangenheit besteht. Deßwegen darf ich Ihnen wohl gestehen,<br />

dass ich zuweilen in geheimem Kampfe mit <strong>Ihr</strong>em Genius bin, um<br />

meine Freiheit gegen ihn zu retten, und dass die Furcht, <strong>von</strong> Ihnen<br />

durch und durch beherrscht zu werden, mich schon oft verhindert<br />

hat, mit Heiterkeit mich Ihnen zu nähern. Aber nie kann ich mich<br />

ganz aus <strong>Ihr</strong>er Sphäre entfernen; ich würde mir solch einen Abfall<br />

schwerlich vergeben." Wieder einmal wird hier der Ton demütiger<br />

Ängstlichkeit, den Hölderlin sonst in den Briefen an Schiller<br />

möglichst zu bewahren strebt, unwillkürlich durchbrochen - durch<br />

die bedeutungsschwere Wendung, dass der Hölderlinsche und der<br />

Schillersche Genius "in geheimem Kampf" stehen. Es ist klar, dass<br />

es bei diesem Kampf <strong>nicht</strong> sowohl um Persönliches geht, als um<br />

das Größte und Letzte: das Werk.<br />

Wie distanziert Hölderlins Verhältnis zu Schiller in dieser Zeit<br />

eigentlich war, das verrät noch besser als die an Schiller adressierten<br />

Briefe, die immer mit kunstvoller Rücksicht formuliert sind,<br />

eine ganz nüchterne Stelle in einem Schreiben an den Freund<br />

Neuffer vom März 1796. Hier sagt Hölderlin: "Übrigens ist es<br />

ziemlich unbedeutend, ob ein Gedicht mehr oder weniger <strong>von</strong> uns<br />

in Schillers Allmanache steht. Wir werden doch, was wir werden<br />

sollen." Der Passus spielt darauf an, dass Schiller Hölderlins Gedicht<br />

AN DIE NATUR zu drucken abgelehnt hatte. Ähnliche Zurückweisungen<br />

erfolgten später noch öfter, und zwar gerade, als Hölderlin<br />

in seiner dichterischen Eigenart sich wirklich befestigt, als<br />

er auch auf dem Gebiet der Lyrik seinen eigenen Ton gefunden<br />

hatte. Auf dem Wege hin zu dieser Eigenart aber, so sehen wir,<br />

will Hölderlin sich schon jetzt durch Schiller <strong>nicht</strong> mehr stören lassen.<br />

Das bedeutet ja der kurze Satz: "Wir werden doch, was wir<br />

werden sollen."<br />

Es scheint nach all diesem gar kein Zweifel mehr möglich zu<br />

sein, dass die Flucht aus Jena tatsächlich eine Flucht vor Schiller<br />

war. Ein echtes und enges Zusammengehen mit Schiller war Hölderlin<br />

<strong>nicht</strong> möglich, es war, mit seinen eigenen Worten zu reden,<br />

62<br />

ihm "<strong>nicht</strong> erlaubt". Trennungen dieser Art sind unvermeidlich und<br />

haben in der Geistesgeschichte manche Parallele. Aus ähnlicher<br />

innerer Notwendigkeit haben sich z. B. Nietzsche und Wagner oder<br />

George und Hofmannsthai getrennt. Hier wird man sich der Worte<br />

aus Hölderlins Spätdichtung erinnern dürfen (DER EINZIGE):<br />

Oft aber scheint<br />

Ein Großer <strong>nicht</strong> zusammenzutaugen<br />

Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer<br />

Neben dem andern ...<br />

Nicht <strong>von</strong> ungefähr finden sich diese Worte in der Dichtung eines<br />

Großen, der selbst mit dem Genius eines andern Großen in "geheimen<br />

Kampf" geraten war, einen Kampf, dem nur völlige Trennung<br />

ein Ende setzen konnte. In derartigen Fällen bleiben die Getrennten<br />

nur noch in einer Abhängigkeit ganz anderer Art verbunden,<br />

es entsteht nun eine Freundschaft aus der Feme. Bekanntlich fand<br />

Nietzsche für sein Verhältnis zu Wagner nach der Trennung das<br />

schöne Wort: "Sternenfreundschaft". In gleicher Sternenfreundschaft<br />

blieb Hölderlin auch Schiller zeitlebens verbunden.<br />

II.<br />

Es ist <strong>nicht</strong> zu verwundern, dass das schmerzliche Erlebnis der<br />

Loslösung <strong>von</strong> Schiller in Hölderlins Dichtung der Jahre 1795 und<br />

1796 vielfach Ausdruck fand. In der Hölderlinforschung ist auch<br />

das viel erörtert worden. Nicht immer läßt sich dabei die Bezugnahme<br />

auf das Verhältnis zu Schiller wirklich nachweisen. Man<br />

hat z. B. <strong>von</strong> den Gestalten des Adamas und des Alabanda im Hy­<br />

PERlON behauptet, dass sie auf die Schiller-Begegnung hindeuten.<br />

Auch die Gestalt des gereiften Hyperion, der einem jungen Besucher<br />

Rat erteilt (Metrische Fassung, HYPERIONS JUGEND), wurde mit<br />

Schiller in Zusammenhang gebracht. Das kann aber nur in ein m<br />

sehr begrenzten Maß als möglich gelten. Allenfalls kommen hi r<br />

in Betracht die Situationen als solche: Freundschaft und pädag -<br />

gisches Verhältnis, vielleicht noch der Umstand, dass regelmäßig<br />

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