Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen
Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen
Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
den der großen religiösen Dichter. Und so liegt <strong>nicht</strong> im Aussprechen,<br />
sondern im Bewahren des Geheimnisses das Eigentliche <strong>von</strong><br />
Hölderlins Werk. Mit der Ehrfurcht gegenüber dem Nichtauszusprechenden<br />
wahrt Hölderlin zugleich die Integrität, die Echtheit<br />
seines Priestertums. Eingangs führte ich Friedrich Gundolfs Wort<br />
an: das Spätwerk dieses Dichters sei das Ertönen beständigen Verkehrs<br />
mit den Göttern. Diese Definition mag gelten. Zum Abschluß<br />
sei aber noch der schöne Satz angefügt, mit dem Gundolf seine<br />
Charakteristik weise ergänzt: Hölderlins Hymnen "sind nur die<br />
dichterische Stimme eines dichterischen Schweigens".<br />
134<br />
Dionysos in der Dichtung Hölderlins<br />
mit besonderer Berücksichtigung der FRIEDENSFEIER<br />
I.<br />
In der Dichtung Hölderlins spielt Dionysos eine außerordentliche<br />
Rolle. Von den Göttern des Altertums, zu denen Hölderlin in einem<br />
innigeren Verhältnis stand als irgend ein Dichter neuerer Zeit,<br />
ist Dionysos derjenige Gott, den er weitaus am meisten besungen<br />
hat. Dennoch fehlt bis heute in der Hölderlinliteratur eine umfassende<br />
Untersuchung über das Verhältnis des Dichters zu dieser<br />
Gottheit. Die folgenden Betrachtungen wollen <strong>nicht</strong> den Anspruch<br />
erheben, diesen Mangel zu ersetzen. Sie haben ein begrenzteres<br />
Ziel. Ich möchte lediglich einige der wichtigsten Züge in Erinnerung<br />
bringen, die an Hölderlins Dionysosbild zutage treten, um<br />
mich dann einem Gedicht zuzuwenden, in dem, wie mir scheint,<br />
Dionysos gleichfalls eine entscheidende Rolle spielt, ohne dass man<br />
dies jedoch bisher erkannt hat. Was ich also recht summarisch zunächst<br />
über Hölderlins Verhältnis zu Dionysos überhaupt vorzubringen<br />
gedenke, soll im wesentlichen dienen als Grundlage zur<br />
Interpretation jenes Gedichts.<br />
Wenn Hölderlin <strong>von</strong> Göttern sprach, so stellte er sich in bewußten<br />
Gegensatz zu Gepflogenheiten seiner Zeit. Er sprach <strong>von</strong> den<br />
Göttern nur mit heiligstem Ernst, er rief eine Gottheit nur an, wenn<br />
ihn inneres Erleben in ihren eigensten Wirkungsbereich geführt<br />
hatte. Den Dichtern seiner Zeit dagegen warf er vor, sie trieben mit<br />
ihren freigebigen, aber unverpflichteten Bezugnahmen auf die antiken<br />
Götter nur ein frevles, ein, wie er sagte, »scheinheiliges« Spiel. 1<br />
Eine zutiefst in seinem Wesen begründete Gewissenhaftigkeit bestimmte<br />
Hölderlin auch auf diesem Gebiet. Es ist jene Gewissen-<br />
Vgl. DIE SCHEINHEILIGEN DICHTER; DICHTER BERUF v. 39.<br />
135