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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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Um dies zu erkennen: wie das Verantwortungsgefühl Hölderlins<br />

in den Schlußstrophen der Hymne WIE WENN AM FEIERTAGE,<br />

nun sein Priesteramt prüfend einbezieht, müssen wir die Stelle genauer<br />

betrachten. Die betreffenden Verse, ganz fragmentarisch und<br />

schon deshalb schwierig zu erklären, lauten: »Doch weh mir! wenn<br />

<strong>von</strong> [ ... ] « Nach großem Zwischenraum folgt in der Handschrift<br />

(neue Seite): »Weh mir!« Dann abermals nach beträchtlichem<br />

Spatium:<br />

Und sag ich gleich,<br />

Ich sei genaht, die Himmlischen zu schauen,<br />

Sie selbst, sie werfen mich tief unter die Lebenden<br />

Den falschen Priester, ins Dunkel, daß ich<br />

Das warnende Lied den Gelehrigen singe.<br />

Wesentlich ist zunächst, dass man beachtet: Hölderlin sagt <strong>nicht</strong><br />

ohne weiteres, er sei ein falscher Priester. Das konditionale »wenn«<br />

(»Doch weh mir! wenn [ ... ] «) beherrscht die gesamte Aussage.<br />

Und weiter - es heißt <strong>nicht</strong>: "Ich sage, ich sei genaht, die Himmlischen<br />

zu schauen", sondern: »Und sag ich gleich, ich sei genaht«.<br />

Das Wort »gleich« deutet hier auf einen hypothetischen Fall, der<br />

eintreten könnte, aber <strong>nicht</strong> eintreten möge. Bestätigt wird das Hypothetische<br />

der Aussage durch die Entwurfsfassung dieser Stelle.<br />

Da heißt es zunächst: »weh mir! 0 daß ich dann <strong>nicht</strong> sage,« - Hölderlin<br />

streicht das und fährt fort: »und sag ich gleich, ich wäre genaht,<br />

die himmlischen zu schauen«. Nur <strong>von</strong> einer Gefahr, einer<br />

Möglichkeit ist die Rede. Die Gefahr besteht darin, dass der Dichter-Priester,<br />

der <strong>von</strong> den Göttern die »himmlische Gaabe« empfängt,<br />

der also Göttervertrauen mehr als gewöhnliche Sterbliche<br />

genießt, in dieser bevorzugten Situation <strong>nicht</strong> maßlos wird. Die<br />

»himmlische Gaabe« muß »reinen Herzens«, mit »schuldlosen<br />

Händen« entgegengenommen werden, so heißt es im Vorhergehenden.<br />

Damit er rein und schuldlos bleibe, muß der Dichter sich<br />

jedoch hüten, <strong>nicht</strong> in Hybris zu verfallen, <strong>nicht</strong> mehr <strong>von</strong> den<br />

Göttern zu verlangen, als sie ihm freiwillig geben. Er darf sie <strong>nicht</strong><br />

auch noch »schauen« wollen.<br />

116<br />

Von dem Begehren, die Götter zu sehen und damit verbundener<br />

Hybris handeln viele griechische Mythen. Hölderlin denkt<br />

wohl vor allem an des Euripides Bakchen-Tragödie, das Werk, dem<br />

er die Hauptanregung zur Hymne WIE WENN AM FEIERTAGE verdankt.<br />

SemeIe begehrt Zeus zu schauen, das führte zu ihrem Untergang.<br />

Pentheus will die Feiern der Bakchen neugierig anschauen, darum<br />

wird er auf Geheiß des Dionysos getötet, <strong>von</strong> den Mänaden<br />

in Stücke zerrissen. Auch andere bekannte Gestalten des griechischen<br />

Mythos wurden gestraft, wenn sie unerlaubt die Götter sahen.<br />

So Aktäon, so aber auch der Seher Teiresias, dem Athene das<br />

Augenlicht nahm aus entsprechendem Anlaß.<br />

Das Begehren, die Götter schauen zu wollen, stellt also ein<br />

Gleichnis dar für unfrommes, hybrides Verhalten, besonders eines<br />

Götterlieblings. Hölderlin verbindet nun - immer im Hinblick auf<br />

eine mögliche Gefahr für den Dichter - dies Gleichnis in den<br />

Schlußversen der Hymne WIE WENN AM FEIERTAGE mit dem Mythos<br />

<strong>von</strong> Tantalos, wie man längst gesehen hatB. Wenn es in der 9. Strophe<br />

heißt, die Himmlischen »werfen mich tief unter die Lebenden«,<br />

so ist hiermit auf das Schicksal des Tantalos gewiesen, der<br />

<strong>von</strong> den Göttern in die Unterwelt gestoßen wurde. Deswegen nämlich,<br />

weil er erst zur Tafel der Götter zugelassen worden war, dann<br />

aber gewisse Freveltaten beging, Akte der Hybris, die Götterzorn<br />

hervorriefen. Vollkommen deutlich wird die Beziehung auf den<br />

Tantalos-Mythos durch die Entwurfsfassung, wo die Anspielung<br />

ausführlicher ist. Mit Recht hat man verwiesen auf den Satz eines<br />

späten Hölderlinschen Briefes, in dem der Dichter sich selbst<br />

mit Tantalos vergleicht: ,,Jetzt fürcht' ich, daß es mir <strong>nicht</strong> geh' am<br />

Ende, wie dem alten Tantalus, dem mehr <strong>von</strong> Göttern ward, als<br />

er verdauen konnte."9<br />

Soweit hat die Forschung alles richtig erkannt. Es bleibt aber<br />

zu fragen, warum gerade der Tantalos-Mythos <strong>von</strong> Hölderlin in<br />

H Vgl. Wolfgil ng Schadewaldt, Hellas und Hesperien. Zürich und Stuttgart 1960. S. 677.<br />

'I An Böh lend orff 4. Dezember 1801. StA VI 427.<br />

117

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