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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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sten pathologischen Schub" die wesentliche Ursache zu sehen, dass<br />

es bei Hölderlin zu einem "Zusammenbruch seines ursprünglich<br />

guten und anregenden Verhältnisses zu seiner Umwelt in Jena"<br />

kam, zum "schizothymen Gefühl der Isolierung, und schließlich<br />

zu der überstürzten Flucht ... in die Geborgenheit des mütterlichen<br />

Hauses". Beck verweist dabei vor allem auf die Berichte über<br />

Hölderlins Erziehertätigkeit in Waltershausen, die Charlotte v. Kalb<br />

an Schiller sandte, und in denen sich ein Passus wie folgender findet:<br />

"mann meynt würklich das eine Verworrenheit des Verstandes<br />

diesen Betragen [Hölderlins, des Lehrers] zu grunde liegt".<br />

Hiernach wären also etwaige Spannungen in dem Verhältnis<br />

zwischen Hölderlin und Schiller zu Erscheinungen <strong>von</strong> sekundärer<br />

Bedeutung geworden. Was das Bestehen solcher Spannungen betrifft,<br />

so leugnet Beck diese <strong>nicht</strong>, gibt aber auch ihnen einen anderen<br />

ursächlichen Hintergrund. Entscheidend sei <strong>nicht</strong> das "Gefühl<br />

eines ver<strong>nicht</strong>enden Größenunterschiedes" gewesen, sondern vielmehr<br />

ein anderes: in seiner Eigenschaft als "gescheiterter Erzieher"<br />

im Hause Kalb sei Hölderlin gegenüber Schiller in einer unangenehmen<br />

Lage gewesen. Gerade die Tatsache, dass Schiller über<br />

jenes Scheitern, über die "peinliche Sache", bestens informiert war,<br />

habe sich bei Hölderlins "argwöhnischer Empfindlichkeit" unheilvoll<br />

ausgewirkt. Ob zwischen beiden Männern darüber gesprochen<br />

wurde oder <strong>nicht</strong>-Hölderlin mußte nach BecksAnsicht "doch<br />

das Gefühl haben, dass er letztlich auch Schiller enttäuscht und<br />

sich durchaus <strong>nicht</strong> als der 'Mann' bewährt habe, der zu werden<br />

er in seinem ersten Brief an diesen so sehnlich gewünscht hatte".2<br />

Es erhebt sich die Frage; ob diese Umdeutung der Spannungen<br />

mit Schiller noch mit dem urkundlichen Material in Einklang zu<br />

bringen ist. Aus Hölderlins Briefen an Schiller ist doch mit aller<br />

Klarheit zu ersehen, dass der Weggang <strong>von</strong> Jena wesentlich eine<br />

Lösung <strong>von</strong> Schiller bedeutete, und dass hierbei das Gefühl des<br />

drückenden Größenunterschiedes ein ausschlaggebendes Moment<br />

darstellte. Es geht aus den Briefen aber des weiteren etwas hervor,<br />

das man nie genügend in Rechnung gestellt hat: nämlich dass Höl-<br />

2 Hölderlin-Jahrbuch, 1950, 5.154-162.<br />

54<br />

derlin vor allem sein Schaffen, sein Dichtertum durch Schillers Nähe<br />

und Gegenwart gefährdet sah. In Gefahr war sein Werk - und darum<br />

mußte er vor Schiller fliehen.<br />

Die Flucht aus Jena gehört zu den wichtigsten Wendungen in<br />

Hölderlins Leben, und ihre Erklärung kann uns <strong>nicht</strong> gleichgültig<br />

sein. Es sei darum hier nochmals auf diejenigen Sätze in Hölderlins<br />

Briefen an Schiller aus den Jahren 1795 bis 1798 hingewiesen,<br />

die am klarsten bezeugen, dass es Spannungen mit Schiller waren,<br />

die den Hauptgrund für das Scheiden aus Jena bildeten, und dass<br />

es sich hierbei um Spannungen im Bereich des Geistigen handelte,<br />

<strong>nicht</strong> des Persönlichen, Privaten. Des weiteren werden wir gewisse<br />

Spiegelungen jener geistigen Spannungen in Hölderlins damaligem<br />

Schaffen zu betrachten haben, und zwar besonders innerhalb<br />

eines dichterischen Komplexes, den man bisher noch <strong>nicht</strong> in<br />

solchem Zusammenhang gesehen hat.<br />

I.<br />

Bereits im ersten Brief, den Hölderlin aus Nürtingen am 23. Juli<br />

1795 an Schiller richtet, gibt er, wie er ausdrücklich betont, geradezu<br />

eine "Apologie" seines plötzlichen Weggangs aus Jena. Am Anfang<br />

steht die Klage - die sich in den späteren Briefen so oft wiederholt<br />

-, dass Hölderlin nun <strong>nicht</strong> mehr Schillers persönlichen<br />

Umgang, <strong>nicht</strong> mehr seIne "Nähe" genieße, verbunden mit dem<br />

Eingeständnis, wieviel er damit entbehre. Der dann folgende Passus<br />

ist aber bereits geeignet, jegliche Zweifel zu beheben, dass es<br />

sich in erster Linie um eine Flucht vor Schiller gehandelt habe. "Ich<br />

hätt' es auch schwerlich mit all' meinen Motiven über mich gewonnen,<br />

zu gehen, wenn <strong>nicht</strong> eben diese Nähe mich <strong>von</strong> der andern<br />

Seite so oft beunruhiget hätte." Klar und deutlich wird hier ausgesprochen:<br />

die" Beunruhigung" durch Schillers "Nähe" gab denAusschlag<br />

bei dem Fluchtentschluß. Andere "Motive" - die es also gegeben<br />

haben mag - spielten demgegenüber eine zweitrangige Rolle.<br />

Bezeichnend ist aber weiter die Art und Weise, wie Hölderlin<br />

es erklärt, dass Schillers Nähe ihn so "beunruhigte". Er habe dar-<br />

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