Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen
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en der Reichsfahne Schwarz-Weiß-Rot. Diese Auslegung stieß auf<br />
Widerspruch, wie zu erwarten war, obgleich sie vom Dichter bestätigt<br />
wurde. Es läßt sich aber auch noch auf andere Weise zeigen,<br />
dass sie ihre Richtigkeit hat. Ganz ohne Zweifel lehnt sich George<br />
nämlich gerade hier an die Sprache des Nostradamus an. Nostradamus<br />
bezeichnet sehr oft politische Parteien durch Nennung und<br />
Aufzählung verschiedener Farben, wobei die Farben auch umschrieben<br />
werden können, Z.B.: weiße und schwarze Kohle, oder<br />
Asche und Kalk (für grau und weiß). Daraus ergibt sich, dass aus<br />
der Wendung »rötel kalk und teer« bei George tatsächlich ein politischer<br />
Beiklang <strong>nicht</strong> wegzuleugnen ist. Der Dichter war, das ist<br />
bekannt, ein Gegner Preussens und des Bismarckschen Reichs. Er<br />
hatte also etwas gegen die Fahne Schwarz-Weiß-Rot. Man darf allerdings<br />
im allgemeineren Sinne deuten: nach Georges Auffassung<br />
mußten vor allem verschwinden, bevor ein neues Leben beginnen<br />
könnte: die Götzen der nationalen Eitelkeit, die jeder höheren Kultur<br />
feindlich waren. George war ja auch, wie viele seiner Dichtungen<br />
bezeugen, ein dezidierter Gegner des modernen Krieges. Schon<br />
im Jahre 1896 hatte er in den BLÄTTERN FÜR DIE KUNST polemisiert<br />
gegen die "ausschließliche erziehung eines geschlechtes zu wechselseitigem<br />
hartem kampfe", gegen den Militarismus also. Dadurch<br />
ginge Wichtigstes verloren, ja, die Menschheit liefe damit "einer<br />
allmählichen verflachung und vertrocknung entgegen". Es hat also<br />
seine tiefe Bedeutung, wenn der Rhein auch mit diesem Übel, dem<br />
übersteigerten Nationalgefühl der modernen Menschheit, aufräumt.<br />
Der Sinn der <strong>von</strong> George prophezeiten Katastrophen wäre im<br />
übrigen <strong>nicht</strong> damit erschöpfend gedeutet, dass man etwa an die<br />
Ereignisse der letzten beiden Kriege denkt. Es sind Untergänge noch<br />
ganz anderer Art, die dem Dichter vor Augen stehen.<br />
Über das, was nach dem »furchtbaren gereut« noch zählt, noch<br />
Geltung hat, deuten die beiden letzten RHEIN: V und RHEIN: VI überschriebenen<br />
TAFELN nur soviel an: vor allem die Schönheit der rheinischen<br />
Landschaft wird noch wesenhaft und fruchtbar sein, sowie<br />
das Erbe großer geschichtlicher Vergangenheit - die Reste romanischer<br />
und gotischer Bauten am Rhein und das, was George<br />
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den römischen Hauch des Rheines nennt. Vom »neuen wein im<br />
neuen schlauch« dürfe erst dann gesprochen werden, so ruft hier<br />
der Rhein den Deutschen zu (VI-VII. 199):<br />
Sprecht <strong>von</strong> des Festes <strong>von</strong> des Reiches nähe<br />
Sprecht erst vom neuen wein im neuen schlauch:<br />
Wenn ganz durch <strong>eure</strong> seelen dumpf und zähe<br />
Mein feurig blut sich regt, mein römischer hauch!<br />
Was hiermit gemeint ist, verdeutlicht sich aus anderen Gedichten<br />
des SIEBENTEN RINGES. Die Zeit, als die Römer im Rhein- und<br />
Moselland lebten, gilt George als die glanzvollste Epoche seiner<br />
Heimat. Damals war das Land einbezogen in das geist- und gottrfüllte<br />
Leben der Antike, <strong>von</strong> dem das Gedicht URSPRÜNGE sagt<br />
(VI-VII. 127):<br />
Nie lag die welt so bezwungen<br />
Eines geistes durchdrungen<br />
Wie im jugend-traum.<br />
er Rhein hat <strong>von</strong> diesem antiken Leben ein Erbe bewahrt, das<br />
noch für künftige Zeiten fruchtbar werden kann. Darin liegt auch<br />
as letzte Geheimnis des Hortes und der Freilegung des Rhein<br />
Ids durch die Macht der Dichtung.<br />
Die spätesten Werke Georges, DER STERN DES BUNDES und DAS<br />
NRUE REICH sprechen <strong>von</strong> der Zeit nach den grossen Weltkatastroph<br />
n positiver, mit mehr seherischer Hoffnung. Hier bildet der<br />
Rh in geographisch und geistig die Mitte des Wandlungsgescheh<br />
ns (VIII. 82):<br />
Verändert sieht der alten berge form<br />
Und wie im kindheit-garten schaukeln blüten ..<br />
Der strom besprengt die ufer und es schlang<br />
Sein zi tternd silber allen staub der jahre<br />
Die schöpfung schauert wie im stand der gnade.<br />
, ) wird im STERN DES BUND ES der Beginn der neuen Weltzeit ange<br />
I 'ut t. Ganz besonders die Binger Landschaft, den Rheingau sieht<br />
I 'r ht r jetzt im Lichte intensiver Verklärung. Diese Landschaft<br />
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