Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es möchten
vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein [ ... ] Das sei ferne von dir, daß du
das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen. (1. Mos. 18, 23 ff.)
Wiederholt wird Moses zum Fürbitter. In Psalm 106, wo von der
"Befleckung" des Landes durch "Blutschulden" gesprochen wird,
heißt es (v. 23, Menge):
Da gedachte er sie zu vertilgen, wenn nicht Mose, seinAuserwählter, mit Fürbitte
vor ihn hingetreten wäre, um seinen Grimm vorn Vernichten abzuwenden.
An die großen Fürbitter des Alten Testaments erinnert in der von
»Blutschmach« handelnden Strophe Georges die Wendung: »Wollt
uns bewahren«, deren Form übrigens in der Bibel, besonders in
den Psalmen, sprachliche Parallelen hat; z.B. Psalm 12, 8: "Du, Herr,
wollest sie bewahren und uns behüten."
Insofern in den betreffenden Bibelberichten die Ungerechten
gewöhnlich die breite Masse bilden, der Gerechten Zahl begrenzt
ist, besteht wirklich eine Übereinstimmung mit Georges Vorstellungen.
Auch das »beste gut« ist offenbar nur ein kleiner Teil des
ganzen verschuldeten Volkes. In der Bibel finden sich jedoch keine
Parallelen bezüglich des 5 chi c k s als des kleineren Teils bei George.
In DER KRIEG wird der schuldbeladenen Gesamtheit mit Ausrottung
gedroht, »wenn nicht ihr bestes gut zum banne geht.« So
dunkel uns die letzte Wendung vorläufig noch bleibt, so wird doch
als gewiß gelten dürfen, dass die für den kleineren Teil als möglich
gesehene Alternative ebenfalls ist, ein schweres Schicksal auf sich
zu nehmen, vielleicht ein besonders schweres. Der Bibel gemäß
wäre dagegen: die kleinere Zahl erwartet das bessere Los.
Die Frage, der wir uns damit nähern, wie Georges Wort vom
'Zum-Banne-gehn des besten Guts' zu verstehen sei, wurde auch
bisher von denAuslegern in dieser Richtung beantwortet: der Dichter
deril