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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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geiz - oft behandeltes Motiv in seiner Jugendlyrik; ebenso ein Streben<br />

nach Stille, Ruhe, Einsamkeit (nach der »stillen Halle«). Das<br />

Interesse für Philosophie und Theologie zugleich - es ist charakteristisch<br />

für Hölderlin wie für viele Schüler des Tübinger Stifts.<br />

Denken wir ferner an die Situation, die für Abälards Leben in späteren<br />

Jahren bezeichnend ist: das Versetztwerden <strong>von</strong> Kloster zu<br />

Kloster, so hatte der junge Hölderlin - auf den Stationen Denkendorf,<br />

Maulbronn, Tübinger Stift - ähnliches erlebt: überall klosterartige<br />

Zustände; auch das Stift war ja für die Studierenden das<br />

'Kloster'. Sogar die Ehelosigkeit um der großen Aufgabe willen,<br />

die Abälard in seiner Autobiographie so eingehend motiviert, hat<br />

ihre Entsprechung. Hölderlin erhob solche Ehelosigkeit gerade in<br />

der damaligen Zeit zum Programm (verbunden mit dem Eingeständnis<br />

seines Ehrgeizes). Das bezeugt der Abschiedsbrief an<br />

Louise Nast <strong>von</strong> Frühjahr 1790, ferner das Schreiben an die Mutter<br />

<strong>von</strong> Juni 1791: "Bei Gelegenheit muß ich Ihnen sagen, dass ich<br />

seit Jar und Tagen fest im Sinne habe, nie zu freien [ ... ] Mein sonderbarer<br />

Karakter, meine Launen, mein Hang zu Projekten, u. (um<br />

nur recht die Warheit zu sagen) mein Ehrgeiz [ ... ] lassen mich<br />

<strong>nicht</strong> hoffen, daß ich im ruhigen Ehestande [ ... ] glücklich sein werde."<br />

Seit "Jahr und Tagen" - zurückschauend kommt man doch<br />

gerade in die Zeit, da DIE WEISHEIT DES TRAURERS geschrieben ward,<br />

folglich Beschäftigung mit Abälard angenommen werden kann.<br />

Endlich kam hinzu die als ungerecht empfundene Freiheitsstrafe<br />

und das Aufbegehren gegen das Regiment im Stift-'Kloster', gegen<br />

Karl Eugen. Hierfür bot das Leben Abälards die vielfältigsten<br />

Parallelen. So dient der Abälard-Abschnitt in der Weisheit des<br />

Traurers ebenso wie die Cäcilia-Episode, der oppositionellen Stimmung<br />

Ausdruck zu verleihen, die Hölderlin damals erfaßt hatte.<br />

Allerdings ließ er in diesem Falle schließlich doch vorsichtshalber<br />

die beiden Worte weg, die den revolutionären Charakter jener Strophen<br />

in allzu gefährlicher Weise verraten konnten: das Wort »Despot«<br />

und den Namen »Elisa«Y<br />

11 Herman Meyer in Amsterdam verdanke ich den Hinweis darauf, dass Hölderlin<br />

das seltene Wort »Iraurer« im Titel des besprochenen Gedichts vermutlich <strong>von</strong> Hölty<br />

196<br />

H.<br />

Im Hinblick auf die Bedeutung <strong>von</strong> Traditionsbezügen und deren<br />

oft seltsames Verborgenbleiben kann ein weiteres Beispiel <strong>von</strong> Interesse<br />

sein: die Elegie DER WANDERER, auf die wir einen kurzen<br />

Blick werfen wollen. Die drei Teile, die das Gedicht in seinen beiden<br />

Fassungen aufweist, schildern die Klimazonen der Erde: extreme<br />

Hitze in der »Afrikanischen Ebene«, extreme Kälte am »Eispol«,<br />

gemäßigte Zone in der »glücklichen Heimat«. Bekanntlich<br />

fand die Art und Weise, wie Hölderlin die beiden ersten Zonen<br />

"durch Negationen" charakterisiert, den harten Tadel Goethes.<br />

"Freylich ist die Afrikanische Wüste und der Nordpol weder durch<br />

sinnliches noch durch inneres Anschauen gemahlt, vielmehr sind<br />

sie beyde durch Negationen dargestellt, da sie denn <strong>nicht</strong>, wie die<br />

Absicht doch ist, mit dem hinteren deutsch-lieblichen Bilde genugsam<br />

contrastiren", so schreibt Goethe am 28. Juni 1797 an Schiller<br />

(WA IV 12, 171).<br />

Es ist verwunderlich, dass Goethe hier <strong>nicht</strong> bemerkte, was es<br />

mit diesen Negationen auf sich hatte. Gerade mit ihnen lehnt Hölderlin<br />

sich an die antike Tradition an. In der römischen Dichtung<br />

sind derartige Negationen <strong>nicht</strong>s Seltenes. Sie begegnen aber in<br />

ganz ungewöhnlicher Weise gehäuft in einer berühmten Elegie,<br />

welche Hölderlin offensichtlich die stoffliche Anregung gab für das<br />

Schildern der drei Zonen. Es ist der PANEGYRICUS MESSALLAE, das<br />

große Gedicht, das in der Sammlung <strong>von</strong> Tibulls ELEGIEN steht<br />

(IV 1), obwohl es nach heutiger Ansicht das Werk eines anderen,<br />

unbekannten Verfassers ist. In dieser Elegie werden v. 151 bis 174<br />

gleichfalls die drei Hauptklimazonen de Erde geschildert, in der<br />

Reihenfolge: Eiszone (151-57), Hitzezone (158-64), gemäßigte -<br />

»unsre« - Zone (165-74). Die Detailschilderung weist viele Übereinstimmungen<br />

mit Hölderlin auf; wie im WANDERER ist die Hitze-<br />

entlehnte und damit HÖltyschen Odengeist evozieren wollte. Wirklich bringt<br />

Grimms Wörterbuch aus neuerer Zeit nur einen Beleg <strong>von</strong> Hölty erosen schließen<br />

sich zu, nahet dein traurer sich. Ged. 92 Halm"). H. Meyer fand das Wort "Iraurer"<br />

noch ferner in Höltys Ode A N DIE GRILLE (1774).<br />

197

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