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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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Des Göttlichen aber empfiengen wir<br />

Doch viel. Es ward die Flamm' uns<br />

In die Hände gegeben, und Ufer und Meersfluth.<br />

Viel mehr, denn menschlicher Weise<br />

Sind jene mit uns, die fremden Kräfte, vertrauet.<br />

Stehen etwa auch hier die Gedanken und Bilder jener Horazode<br />

im Hintergrund? Zunächst möchte man dies in Frage stellen, da<br />

eine Entsprechung zu dem »non timuit« fehlt und damit - wie es<br />

scheint - auch der Hybrisgedanke. Der Sieg über die Elemente ist<br />

vor allem göttliches Geschenk. Immerhin sind Flut und Flamme<br />

doch auch hier als 'fremde Kräfte' gekennzeichnet, und in der vorhergehenden<br />

Strophe ward <strong>von</strong> der Undankbarkeit der Menschen<br />

gegenüber Göttergeschenken gesprochen, was noch bis hierher<br />

hinüberwirkt. Sehr anders nimmt sich aber die Stelle im Entwurfsstadium<br />

aus.19 Da wird der Zusammenhang mit Horaz wieder<br />

vollkommen deutlich:<br />

Und menschlicher Wohlthat folget der Dank,<br />

Auf göttliche Gaabe aber jahrlang<br />

Die Mühe erst und das Irrsaal,<br />

Bis Eigentum geworden ist und verdient<br />

Und sein sie darf der Mensch dann auch<br />

Die menschlich göttliche nennen.<br />

So gewann er empfangend,<br />

Ein räthselhaft Geschenk,<br />

Und ringend dann als er das Gefährliche des<br />

Siegs das trunkenübermüthige mit göttlichem Verstand<br />

überwunden der Mensch, gewann er die Flamme und die Wooge<br />

des Meeres und den Boden der Erd und ihren Wald und das heiße Gebirg,<br />

und den finstern Teich ...<br />

. Unverkennbar tritt in diesen Formulierungen noch das Hybris­<br />

Motiv hervor. Zwar ist die Beherrschung der Elemente auch hier<br />

Göttergeschenk, aber der Mensch muß dies Geschenk erst 'ringend<br />

19 StA II 135. - Orig.-Umschrift in: Hölderlin Friedensfeier. Hsg. <strong>von</strong> W. Binder und A.<br />

Kelletat. Tübingen 1959. S. III.<br />

206<br />

gewinnen'. Bis es sein Eigentum geworden ist, hat er sich durch<br />

»Irrsaal« durchzuarbeiten. Überhaupt wird die Bändigung der Elemente<br />

hier zugleich als 'Sieg' aufgefaßt, an welchem etwas 'Gefährliches'<br />

ist, ein 'Trunkenübermütiges', das der Mensch erst 'mit<br />

göttlichem Verstand' überwinden muß. All das erinnert an die Beispiele<br />

der Hybris in der Horazode, insbesondere an die dortige<br />

Verwendung der Prometheus-Sage.<br />

Wie aber das Prometheus-Motiv aus diesen Versen <strong>nicht</strong> wegzudenken<br />

ist, so gibt es auch anderweitige Reminiszenzen ganz<br />

ähnlicher Art: an Heroen und Giganten. Außer Flamme und Flut<br />

»gewann« der Mensch hier ja noch mehr - unter anderem: »das<br />

heiße Gebirg und den finstern Teich«. Die letzten Worte wurden<br />

bisher <strong>nicht</strong> erklärt. Sie lassen sich aber durch Beachtung <strong>von</strong> Traditionsbezügen<br />

sehr wohl genauer deuten. Was den »finstern<br />

Teich« betrifft, so kann es wohl kaum fraglich sein, worauf der <strong>von</strong><br />

antiker Mythologie durchdrungene Dichter damit anspielte: es ist<br />

der Averner See, der wegen seines düstern Aussehens als Eingang<br />

der Unterwelt betrachtet wurde. In der römischen Dichtung trägt<br />

er die stehende Bezeichnung 'finster'. Vergil nennt ihn in berühmten<br />

Versen »lacus niger«20, spricht <strong>von</strong> ihm wie Hölderlin geradezu<br />

als »Teich«21 und schildert seine Lage inmitten unheimlichen,<br />

sagenumwobenen Waldes. 22 (Was daran denken läßt, dass auch in<br />

Hölderlins Bilderreihe der 'finstere Teich' nachbarlich neben dem<br />

»Wald« figuriert.) Damit wird sich auch für das »heiße Gebirg«<br />

die Deutung ergeben: hier ist an die vulkanische Gegend zu denken,<br />

innerhalb derer der Averner See liegt - die Vergil-Landschaft<br />

20 Vergil Aeneis VI 238. Properz III 18, 1: umbroso Averno. Diodor IV 22: das kristallklare<br />

Wasser des Averner Sees erscheint wgen seiner Tiefe völlig schwarz. Wenn<br />

Avemus, was bei römischen Dichtern oft geschah, überhaupt gleichgesetzt wurde<br />

mit "die Unterwelt" (Acheron), so wird er natürlich gern als "finster" bezeichnet.<br />

Vgl. OvidAm. III 9, 27: nigro [ ... ] Averno. Statius Theb. III 146: nigri [ ... ]Averni. VII<br />

823: lucemque exclusitAverno. Vgl. auch Schiller, DIE KÜNSTLER v. 247: »In des Avernus<br />

schwarzen Ozean«.<br />

21 Vergil Georg. IV 493: stagnis [ ... ] Avernis. Vgl.Aen. VI 107: palusAcheronte refuso.<br />

Plin. 1II 61: palus Acherusia.<br />

22 Vergil Aen. III 442. VI 118, 238, 564. Statius Silvae IV 3, 131 ff.<br />

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