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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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sten, mache wieder den Egoisten, ist etwas ziemlich Ungewöhnliches.<br />

Der Egoismus liegt nun ganz offensichtlich darin, dass er eben<br />

allein leben, allein stehen möchte - <strong>nicht</strong> in einer menschlichen<br />

Gemeinschaft, die für ihn unangemessen, die nur drückend und<br />

einschränkend ist. Es sieht doch aber ganz so aus, als ob diese Wendung<br />

vom Egoisten dem Dichter in die Feder geflossen ist, weil er<br />

sich zu dieser Zeit gerade mit Schillers Gedicht DER PHILOSOPHISCHE<br />

EGOIST auseinandersetzte und mit dem stillen Vorwurf, der darin<br />

gegen ihn erhoben wurde. Wenig später entstanden dann die Gedichte<br />

AN HERKULES und DIE EICHBÄUME.<br />

Mit den letzten fünfeinhalb Versen der EICHBÄUME hat es - wir deuteten<br />

schon darauf hin - eine eigene Bewandnis. Sie wurden erst<br />

etwa ein Jahr nach der Entstehung des Vorhergehenden verfaßt.<br />

In dieser ergänzenden Partie finden sich Gedanken, die mit den<br />

Urbestandteilen des Gedichts inhaltlich <strong>nicht</strong> ganz in Harmonie<br />

stehen. (Zu der Ergänzung benutzte Hölderlin auch <strong>nicht</strong> mehr<br />

die ursprüngliche Handschrift, sondern eine neue.) Der nachgetragene<br />

Schluß läßt erkennen, dass die Spannung, unter der Hölderlin<br />

lebte unmittelbar nach der Trennung <strong>von</strong> Schiller, jetzt gewichen<br />

ist und andere Stimmungen herandrängen. Zunächst wird<br />

- in Vers 12 und 13 - noch der letzte Satz der ursprünglichen Partie<br />

ergänzt:<br />

wie die Sterne des Himmels<br />

Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.<br />

Dies ist noch ganz im Sinne des Vorhergehenden konzipiert. Ein<br />

Bezug auf das Verhältnis zu Schiller ist noch deutlich spürbar, wie<br />

denn auch dieser Passus - vgl. oben - auf Schillers DER PHILOSOPHI­<br />

SCHE EGOIST im replizierenden Sinne anzuspielen scheint. Angeredet<br />

sind immer noch die Eichbäume. Wenn sie untereinander in<br />

Gemeinschaft stehen, so ist diese Gemeinschaft ein »freier Bund«<br />

der in ihrer Höhenwelt einzeln Stehenden und Entfernten. »Wie<br />

die Sterne .. . jeder ein Gott« - die Bildsprache weist hier hin auf<br />

86<br />

das "Götterpaar Kastor und Pollux"18, auf die Dioskuren also, für<br />

deren Freundschaft das Sternbild der Zwillinge ewiges Symbol ist<br />

seit der Antike. Die Dioskuren hat Hölderlin schon in den Tübinger<br />

Hymnen und auch später vielfach besungen. Hier dient der<br />

Mythos, um zu versinnbildlichen, was Hölderlin nach der Trennung<br />

weiter mit Schiller verbindet: Verehrung und Freundschaft<br />

auch aus der Ferne. Das Nietzschesche Bild <strong>von</strong> der "Sternenfreundschaft",<br />

das natürlich gleichfalls den Dioskuren-Mythos zum Hintergrund<br />

hat, findet sich also tatsächlich - seltsame Fügung - schon<br />

bei Hölderlin. Gleiches Erleben führt auf die gleiche Metapher: das<br />

Auseinandergehen zweier Großen, bei dem Liebe und Verehrung<br />

auf anderer, höherer Ebene fortbestehen.<br />

Im weiteren bringt der nachgetragene Schluß der EICHBÄUME eine<br />

neue motivische Wendung. Wie schon früher angedeutet, spiegeln<br />

sich darin andere, neue Erlebnisse. Um diese Verse recht zu verstehen,<br />

muß man sich ins Bewußtsein rufen, dass Hölderlin mit ihnen<br />

auch einem bestimmten Formprinzip Rechnung tragen will, das<br />

ihm inzwischen bedeutungsvoll wurde. Die Zeit ist nämlich gekommen,<br />

wo er beginnt, seinen Gedichten jenen bekannten dreitaktigen<br />

Rhythmus zu geben: These - Antithese - Synthese. In der<br />

nachträglichen Ergänzung der EICHBÄUME zeigt sich ein frühes Beispiel<br />

für die Anwendung dieser Form: offensichtlich gestaltet Hölderlin<br />

diese Ergänzung derart, dass sie wie die Synthese zu dem<br />

Vorhergehenden wirkt, das nun als These und Antithese betrachtet<br />

wird. So ergibt sich folgender Aufbau: Welt der Gärten, des Tals<br />

(These) - Welt des Berges, der Eichen (Antithese) - pointierte Deutung<br />

beider Welten, bzw. des Verhältnisses zu ihnen (Synthese). In<br />

der handschriftlichen Überlieferung findet sich ein Versuch, diese<br />

Synthese zunächst so zu gestalten (Entwurf der Verse 14 ff.):19<br />

Enger vereint ist unten im ThaI das gesellige Leben,<br />

[Stolzer steht es und]<br />

Vester bestehet es hier und sorgenfreier und stolzer,<br />

Denn so will es der ewige Geist.<br />

18 HölderJin an Neuffer, 28. November 1791. (StA VI 71.)<br />

19 StA 1501 f.<br />

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