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Ihr kennt eure Bibel nicht! - von Katharina Mommsen

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zone der versengte, ausgetrocknete Raum der Wüste, <strong>nicht</strong> etwa<br />

der tropische feuchte Urwald. Charakterisiert werden aber die<br />

Zonen der extremen Kälte und Hitze durch eine Kette <strong>von</strong> Negationen:<br />

keine Bäche, niemals Sonne, keine Bearbeitung durch<br />

den Pflug, <strong>nicht</strong> Feldfrucht, <strong>nicht</strong> Futter, kein Gott, der die Fluren<br />

betreut, <strong>nicht</strong> Bacchus, <strong>nicht</strong> Ceres, kein lebendes Wesen<br />

wohnt dort. Auf diese Weise finden sich innerhalb <strong>von</strong> insgesamt<br />

14 Versen neun Negationen. Die Schilderung der gemäßigten Zone<br />

reiht dagegen nur positiv gefaßte Aussagen aneinander. Unter<br />

letzteren finden sich wie bei Hölderlin die Erwähnung des Weinstocks,<br />

des Stiers, des Pflugs, der Mahd, der menschlichen Siedlungen.<br />

In den <strong>von</strong> Goethe bemängelten Negationen liegt also ein beabsichtigtes<br />

Antikisieren. Hölderlin tat <strong>nicht</strong>s anderes als Goethe<br />

selbst und die anderen Dichter, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts<br />

die Elegie erneuerten: er lehnte sich and die römischen Elegiker<br />

an. Den PANEGYRICUS MESSALLAE, der ihm thematisch-stoffliche<br />

Anregung gab, nahm Hölderlin auch im formalen zum Vorbild.<br />

Das führte ihn auf die Darstellung durch Negationen. Im Hinblick<br />

hierauf verdient erwähnt zu werden, dass der PANEGYRICUS MES­<br />

SALLAE <strong>von</strong> diesem Stilmittel auch sonst reichlichen Gebrauch<br />

macht. In den dreißig Versen, die der Schilderung der Erdzonen<br />

unmittelbar vorausgehen (118-148), finden sich <strong>nicht</strong> weniger als<br />

11 Negationen. Mit Vorliebe werden im PANEGYRICUS MESSALLAE wie<br />

auch sonst, wo in der römischen Dichtung solche Negationsreihen<br />

vorkommen, die verneinenden Partikeln an den Versanfang gestellt.<br />

Auch darin schließt Hölderlin sich der antiken Tradition an.<br />

Nochmals: es bleibt rätselhaft, dass Goethe diesen Traditionszusammenhang<br />

<strong>nicht</strong> erkannte. War er doch gerade zur Zeit, als er<br />

Hölderlins DER WANDERER las, mit den römischen Elegikern durch<br />

vieles Studium bestens vertraut. Goethes Ausstellungen an Hölderlins<br />

Gedicht richten sich, ihm selbst unbewußt, gegen charakteristische<br />

Züge antiker Dichtung.<br />

Eine Übersetzung des PANEGYRICUS MESSALLAE hatte übrigens Joh.<br />

Heinr. Voß 1786 veröffentlicht; sie erschien nochmals im zweiten<br />

Band der Gedichte <strong>von</strong> Voß 1795 - bald darauf entstand Hölder-<br />

198<br />

lins DER WANDERER. Voß gab der Elegie den Titel: TIBULL AN MES­<br />

SALLA - er nahm Tibull als Verfasser an. Wie sehr Hölderlin sich<br />

bei Abfassung <strong>von</strong> DER WANDERER in die Situation eines römischen<br />

Dichters hineindachte, wird auch dadurch bemerkbar, dass ihm<br />

bei dem dritten Teil des Gedichtes ursprünglich <strong>nicht</strong> die rheinische,<br />

sondern die römisch-italische Landschaft vorschwebte. »Ausonien<br />

kehr ich zurük in die freundliche Heimath« - so lautet der<br />

Anfang dieses Teils im Entwurf.<br />

III.<br />

Die weiter zu betrachtenden Beispiele stammen aus Hölderlins<br />

Spätdichtung. In der FRIEDENSFEIER stellt die 3. Strophe eins der<br />

kunstvollsten Gebilde Hölderlinschen Schaffens dar. Wiederum<br />

spielen dabei Traditionsbezüge eine wesentliche Rolle. 12<br />

Von heute aber <strong>nicht</strong>, <strong>nicht</strong> unverkündet ist er; 25<br />

Und einer, der <strong>nicht</strong> Fluth noch Flamme gescheuet,<br />

Erstaunet, da es stille worden, umsonst <strong>nicht</strong>, jezt,<br />

Da Herrschaft nirgend ist zu sehn bei Geistern und Menschen.<br />

Das ist, sie hören das Werk,<br />

Längst vorbereitend, <strong>von</strong> Morgen nach Abend, jezt erst, 30<br />

Denn unermeßlich braußt, in der TIefe verhallend,<br />

Des Donnerers Echo, qas tausendjährige Wetter,<br />

Zu schlafen, übertönt <strong>von</strong> Friedenslauten, hinunter.<br />

<strong>Ihr</strong> aber, theuergewordne, 0 ihr Tage der Unschuld,<br />

<strong>Ihr</strong> bringt auch heute das Fest, ihr Lieben! und es blüht 35<br />

Rings abendlich der Geist in dieser Stille;<br />

Und rathen muß ich, und wäre silbergrau<br />

Die Loke, 0 ihr Freunde!<br />

Für Kränze zu sorgen und Mahl, jezt ewigen Jünglingen ähnlich.<br />

Mit einer nur geringen Anzahl <strong>von</strong> Versen vermag der Dichter den<br />

rieden, der jetzt gefeiert werden soll, so erscheinen zu lassen, wie<br />

12 Die folgenden Betrachtungen ergänzen die Interpretation der 3. FRIEDENSFEIER-Strophe<br />

(oben S. 168 ff.) im vorausgehenden Kapitel Dionysos in der Dichtung Hölder­<br />

/ins.<br />

199

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