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322 Kapitel 15 Unterarm<br />
CAVE<br />
!<br />
Um eine zusätzliche, sekundäre durch die Behandlung<br />
herbeigeführte Traumatisierung zu vermeiden,<br />
sollte die Therapie so schonend wie möglich erfolgen<br />
und eine achsengerechte Stellung nicht um jeden Preis<br />
erzwungen werden.<br />
Entsprechend dem Ausmaß der primären und sekundären<br />
Traumatisierung – ersichtlich an der primären<br />
Dislokation, die zur operativen Therapie zwingt –<br />
werden in der Literatur die operativen Ergebnisse als<br />
funktionell schlecht geschildert (Chambers u. Wilkins<br />
1996; Henrikson 1969; v. Laer 1982, 1984; v. Laer et al.<br />
1997; Rang 1983; Reidy u. van Gorder 1963; Wedge u.<br />
Robertson 1982).<br />
Indikation<br />
Für die Therapieentscheidung sind das Alter des Patienten<br />
sowie die vorliegende Achsabweichung und die Seitzu-Seit-Verschiebung<br />
zu berücksichtigen (v. Laer et al.<br />
1997; Vocke u. v. Laer 1998 a, 1998 b). Primäre Abkippungen<br />
von 45–60° (Benz u. Roth 1985; Graff 1989; Reidy u.<br />
van Gorder 1963; Vocke u. v. Laer 1998 a, 1998 b, 2000)<br />
zeigen bis zum 10. Lebensjahr und bis zu 20° im Alter<br />
jenseits des 10. Lebensjahres unter frühzeitiger Selbstmobilisation<br />
des Ellbogens ohne Physiotherapie eine<br />
Spontankorrektur und gute funktionelle Endergebnisse<br />
(Liow 2002; Ostermann et al. 1999). Dagegen sollten<br />
Seit-zu-Seit-Verschiebungen um mehr als die Hälfte der<br />
Schaftbreite nicht belassen werden.<br />
Offene Repositionen gehen mit einem hohen Risiko<br />
für nachfolgende funktionelle Einschränkungen, die<br />
durch Weichteilvernarbungen entstehen können, einher.<br />
Aber auch multiple geschlossene Repositionsmanöver,<br />
besonders unter Zuhilfenahme von Steinmann-Nägeln<br />
oder Kirschner-Drähten, die von außen perkutan<br />
eingebracht werden, können einen erheblichen Weichteilschaden<br />
bzw. eine Gefäßläsion provozieren, die<br />
ebenfalls mit einem schlechten Endergebnis einhergehen<br />
(Fasol u. Schedl 1976; Hilgert et al. 2002; Kaufman et<br />
al. 1989).<br />
In den meisten Fällen wird nach 3 geschlossenen Versuchen<br />
auf ein offenes Verfahren übergegangen. Wichtig<br />
erscheint nochmals zu erwähnen, dass eine anatomische<br />
Stellung nicht um jeden Preis erzwungen werden<br />
sollte.<br />
Tabelle 15.3. Tolerables Dislokationsausmaß<br />
bei konservativer<br />
Therapie der proximalen<br />
Radiusköpfchenfraktur in Abhängigkeit<br />
vom Alter<br />
Klinischer Hinweis<br />
Grundsätzlich ist eine therapiebedürftige Radiusköpfchenfraktur<br />
eine Notfallindikation in der Kindertraumatologie.<br />
Indikation und Vorgehen bei verschiedenen Ausgangsbefunden.<br />
Bei Kindern unter 10 Jahren mit einer<br />
Frakturabkippung von bis zu 60° und bei Kindern über<br />
10 Jahren bis zu 20° wird die konservative Therapie<br />
empfohlen. Durch die schonendere Technik der Nagelung<br />
wird die Grenze bei den 6- bis 10-jährigen zunehmend<br />
bereits bei 40°-Fehlstellung gezogen (Tabelle<br />
15.3). Allerdings darf die Seit-zu-Seit-Verschiebung<br />
nicht mehr als eine halbe Schaftbreite betragen.<br />
Bei der konservativen Therapie erfolgt eine kurzzeitige<br />
Ruhigstellung von etwa 10–14 Tagen im gespaltenen<br />
Oberarmgips bzw. in einer Gipsschale. Anschließend<br />
wird funktionell behandelt, ohne zusätzliche Krankengymnastik<br />
(Vocke u. v. Laer 1998 a, 1998 b).<br />
Bei höhergradigen Abkippungen und älteren Kindern<br />
muss häufig die Indikation zur Reposition in Anästhesie<br />
gestellt werden. Ein entsprechend differenziertes Vorgehen<br />
ist vom radiologischen Befund abhängig.<br />
Inkomplett dislozierte Frakturen können meist geschlossen<br />
aufgerichtet werden, wobei in folgenden Einzelschritten<br />
vorgegangen werden kann:<br />
1. Zunächst sollte versucht werden, das proximale<br />
Fragment vorsichtig geschlossen wieder aufzurichten<br />
(Kaufman et al. 1989). Nach geschlossener Reposition<br />
werden Funktionsstörungen zwischen 0%<br />
(Jeffery 1950, 1972; Wedge u. Robertson 1982) und<br />
50% (van Vugt 1985) angegeben.<br />
Erreichen Supination und Pronation bei der klinischen<br />
Prüfung 60°, kann eine Fraktur trotz nicht immer<br />
achsengerechter Stellung konservativ behandelt<br />
werden (Rockwood 1995). Ebenso ist die Spontankorrektur<br />
in das Therapiekonzept durchaus mit einzubeziehen.<br />
2. Gelingt die geschlossene manuelle Reposition nicht<br />
auf Anhieb, so ist die Aufrichtung über einen intramedullären<br />
Nagel in aufsteigender Richtung angezeigt,<br />
um eine weitere Traumatisierung der Blutversorgung<br />
zu vermeiden (Keller et al. 1993; v. Laer et al.<br />
Akzeptable Kind bis Schulkind Schulkind Adoleszent<br />
Dislokationen 5 Jahre 5–10 Jahre 11–14 Jahre >14 Jahre<br />
Abkippung 60° 40 (60° a ) 20° 10°<br />
Schaftbreite 1/2 Schaft 1/3 Schaftbreite 1/3 Schaftbreite 1/5 Schaft<br />
Verkürzung Keine Keine Keine Keine<br />
a In der Literatur zunehmend primäre Dislokation >40° bei Schulkindern Indikation zur intramedullären<br />
Nagelung, da die Ergebnisse durch das schonende geschlossene Verfahren verbessert werden<br />
konnten.<br />
!