Download Innenteil als PDF - Weibblick
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TITEL<br />
»Es waren einige furchtbare Momente, ja.<br />
Das war zum Beispiel diese Nacht, <strong>als</strong> wir<br />
nach Mitlernacht geweckt wurden, in den<br />
Häusern, wir die Häuser verlassen mußten<br />
und uns gesagt wurde: Ihr geht für drei Tage<br />
in die Schule. Nehmt warme Kleidung und<br />
etwas zu Essen mit. Und, an dem Dorfplatz,<br />
wurden wir dann von den Männern getrennt,<br />
und dk1 Frauen und Kinder wurden in die<br />
St huli' geführt. Als wir alle dort waren, mußten<br />
wir in die l astkraftwagen vor der Schule<br />
einsteigen. Wir wurden in eine Schule nach<br />
Kladno gebracht, wo gegenüber die Amtsstelle<br />
der Gestapo war. Da wurde die meiste<br />
Aufmerksamkeit den Kindern gewidmet, ja.<br />
Die wurden eingeschrieben, die Krankheiten,<br />
die sie durchlebt haben, und die Familienund<br />
Su/ialVerhältnisse. Und sie wurden<br />
gefragt, ob jemand von den Vorfahren ein<br />
Deutscher war. Am dritten Tag sind mehrere<br />
Gestapomänner gekommen und sagten: Ihr<br />
wißt, was in Lidice geschehen ist. Ihr geht<br />
für eine Zeit in ein Lager, geht mit dem Zug.<br />
Die Kinder gehen mit dem Bus, damit die<br />
Reise für sie bequemer ist. Gewaltsam wurden<br />
die Kinder von den Müttern getrennt,<br />
die nicht gehen wollten. Natürlich wollten<br />
die nicht gehen. Es weinten beide Seiten.<br />
Und das war das zweite, so schwere Erlebnis,<br />
die Nacht - <strong>als</strong> die Kinder weggenommen<br />
worden waren. Ich war neunzehn.<br />
Wir wurden dann in einen Zug auf dem<br />
Bahnhof gebracht. Das war Freitag abends,<br />
und am Sonntag früh sind wir an einem kleinen<br />
Bahnhof, Ravensbrück, angekommen.<br />
Da standen Frauen in SS-Uniformen mit<br />
Hunden, Wolfshunden am Bein und Revolver<br />
und schrien: Zu fünft aufstellen. Dann<br />
wurden wir durch das Tor 'Arbeit macht frei'<br />
geführt. Da standen wir dann auf dem Lagerplatz,<br />
und in der ersten Baracke ging ein<br />
Fenster ein Stück auf und in Tschechisch<br />
fragte jemand: Wer seid ihr? Unsere Gruppe<br />
wurde in Ravensbrück bereits erwartet. Wir<br />
sagten: Wir sind von Lidice. Sind unsere Kinder<br />
hier? Hier sind keine Kinder, sagten sie.<br />
Und später im Bad haben wir erfahren, daß<br />
wir im Konzentrationslager sind.<br />
Ich sage immer, die drei Jahre waren viel<br />
schlimmer für uns <strong>als</strong> für die anderen Häftlinge,<br />
weil wir drei Generationen waren, ja.<br />
Die Großmutter und die Mutter und die<br />
Töchter. Wir kannten uns, waren Kameradinnen,<br />
Schulkameradinnen und Nachbarinnen.<br />
Und wir haben das Leid dieses Lebens<br />
mitgelebt, mit den anderen. Und in den Briefen<br />
nach Hause - einmal im Monat konnten<br />
wir schreiben, wie überall in den Konzentrationslagern<br />
- haben wir gefragt, was ist mit<br />
unseren Kindern und Männern? Und von zu<br />
Hause, von Verwandten, haben wir die Antwort<br />
bekommen: Den Männern geht es wie<br />
euch, und die Kinder hätten von Polen geschrieben.<br />
Und so haben wir die drei Jahre<br />
durchlebt. Und zu Ende April 45 wurde<br />
Ravensbrück evakuiert, und wir wurden auf<br />
einen Todesmarsch geschickt, zuerst unter<br />
der Wache von den SS-Leuten, und später, <strong>als</strong><br />
die verschwunden waren, waren wir allein.<br />
Und noch einen Monat wanderten wir durch<br />
Deutschland, schrecklich vernichtet war das,<br />
überall Ruinen, und auch die Moral war am<br />
Ende, und dann zu L;nde sind wir in ein<br />
Sammellager für Ausländer in Neubrandenburg<br />
gekommen, und dann wurden wir von<br />
zwei Bussen von Kladno-Betriebe nach<br />
Hause zurückgeführt.<br />
Die Mithäftlinge, die später noch kamen,<br />
die wußten schon die Wahrheit. Aber weil sie<br />
unsere Verzweiflung sahen, wurde es ihnen<br />
von den anderen Häftlingen verboten, uns<br />
etwas zu sagen. Also wußten wir es die ganze<br />
Zeit nicht. Wir hofften, daß unsere Familienmitglieder<br />
noch lebten. Daß das nicht stimmte,<br />
das haben wir erst dann erfahren, <strong>als</strong> wir<br />
Anfang Juni zurückkehrten. Erst da erfuhr<br />
ich, daß mein Vater erschossen worden war.<br />
So mußten wir das Leben, nur wir Frauen,<br />
neu beginnen. Wir mußten erfahren, daß<br />
alle Männer erschossen wurden, und mußten<br />
das annehmen. Aber daß jemand den<br />
Kindern wehtun kann, den unschuldigen<br />
Kindern, das wollten wir nicht glauben. Es<br />
gab eine ausgedehnte Fahndung nach den<br />
Kindern. Erst 1947, <strong>als</strong> 17 Kinder gefunden<br />
wurden, haben wir von einem Zeugen in<br />
Polen erfahren, daß die Kinder nach Lodz in<br />
Lastkraftwagen gebracht worden waren und<br />
später vergast wurden, 82 Kinder.<br />
Sieben Kinder, die unter einem Jahr<br />
waren, die sind in Prag in einem deutschen<br />
Kinderhaus geblieben, und von Lodz wurden<br />
neun Kinder abgezogen und in ein Kinderheim<br />
gegeben, und dann an deutsche Familien<br />
verkauft. Und datin sind am Leben <strong>als</strong>o<br />
die neun und sieben, ein Knabe ist gestorben<br />
in Prag, in diesem Kinderhaus. Und dann<br />
noch sechs sind geboren nach der Tragödie,<br />
aber vier sind in der Matrik <strong>als</strong> Verstorbene<br />
gezeichnet. Und nur zwei davon leben. Insgesamt<br />
nur siebzehn Kinder von 105 sind<br />
am Leben gebliehen.<br />
Das erfuhren wir alles von den Leuten.<br />
Das war ein Lager für die Kinder, meistens<br />
für die jüdischen Kinder, wo die anderen hinkamen.<br />
Also man weifs nicht, was für Kinder<br />
weggenommen wurden. Ks sind auch Dokumente,<br />
daß sie nach Svatobozice, das ist in<br />
Mähren, in ein Lager gebracht wurden. Also<br />
man weiß es nicht. Da sind diese zwei jungen<br />
deutschen Leute, die nach den Kindern suchen.<br />
Aber die Frauen in l.idice haben sich schon<br />
damit abgefunden, dafs sie schon gestorben<br />
sind. Es ist schwer, so nach 50 Jahren. Die<br />
Kinder wußten nichts, auch die, die in den<br />
deutschen Familien, die hallen ganz vergessen,<br />
wo sie eigentlich herkamen. Ihnen wurde<br />
gesagt, ihre Eltern leben nicht mehr, <strong>als</strong>o sie<br />
mußten deutsch sprechen, in deutsche Schule<br />
gehen, und das frühere Leben ganz vergessen.<br />
Da waren Mädchen um 10 Jahre, die<br />
wußten schon etwas, und können sich erinnern,<br />
aber da waren auch kleinere Kinder.<br />
Ich denke, das jetzige Deutschland war<br />
etwas anderes in der Nazi-Zeit. Wir haben das<br />
erlebt, wir hatten auch diese Totali tat-Regime,<br />
da können wir besser begreifen, was das mit<br />
den Leuten machen kann, weil bei uns die<br />
Leute auch viele Jahre verhaftet waren, und<br />
von dem Regime viel gelitten haben. Ich<br />
denke, daß wir trotzdem nicht ganz belehrt<br />
von der Historie sind - doch etwas, dafs wir<br />
ein besseres Leben und Menschen sein<br />
wollen.«<br />
Doris Liebermann, Osteuropaexpertin,<br />
freie Autorin und Hörfunkjournalistin,<br />
lebt in Berlin.<br />
'i 2(1999