iiltt e r Wenn Kinder Kinder kriegen Text: Annette Mielitz Fotos:. Birgitta Kowsky
REPORTAGE Das Agneshaus in Leipzig - Zufluchtsstätte für minder fahrige Mutter und ihre Kinder Conny hat für ihre Tochter Cindy eine Puppe gekauft. Eine, die aus der Flasche trinkt und gewindelt werden muß. Cindy feiert bald ihren zweiten Geburtstag und mit der Puppe kann sie dann das machen, was ihre Mama jetzt immer mit Dominik tut. Dominik ist seit Februar Cindys Bruder. Conny ist 17 und lebt seit drei Jahren im Agneshaus, dem Wohnheim für Mütter und Kinder des Leipziger Cari las-Verbandes. Offiziell heißt es »Wohngruppe für Mutter, Kind und weibliche Jugendliche im Agneshaus«, das Wort »Heim« möchten die Frauen ve n neiden. Äußerlich hat der langgestreckte, nüchterne Bau unweit der Leipziger City wenig Anheimelndes. Dieser Eindruck ändert sich auch nicht auf dem Weg in die zweite Etage, auf einer steilen Treppe, vorbei an einem [•'ahrstuhl. von dessen Benutzung abgeraten wird. Oben stehen oder sitzen sie auf der Treppe und rauchen: junge Mädchen - oder sind sie schon Frauen? - neben ein paar jungen Männern, die Freunde, und Cindy. Sie genießt die Runde, springt umher und läßt sich auch von mir an die Hand nehmen. Wir betreten einen langen Flur, links und rechts gehen jede Menge Türen ab. Küche, Eßzimmer, Spielzimmer, Wohnzimmer, Büro, eine Ftage höher die Zimmer der Mütter und ihrer Kinder. In ein oder zwei Jahren soll das Haus saniert werden. Wohneinheiten sollen die behördenhafte Links- Rechts-Aufteilung ablösen. Einzelheiten werden gerade geplant, die Mittel für die Sanierung kommen vom Dresdner Diözesanverband. Zum Reden führt mich Conny ins Wohnzimmer. Der Raum mit dunkler Schrankwand, weißem Nippes, schweren Sesseln und großem Ecksofa hat etwas Offizielles. Ja, hier sei sie zu Hause, sagt Conny. Und trotz ihrer /urückhaltenden Art strahlt sie Selbstsicherheit aus. Ohne sichtbare Bewegung erzählt sie, daß sie mit sechs Jahren das erste Mal in ein Kinderheim gekommen sei. Vier Jahre später habe ihre Mutter sie wieder zu sich genommen. Doch deren neuer Lebensgefährte habe Conny und die altere Schwester mißbraucht. Er streitete alles ab. Die Mutter glaubte nicht ihren Töchtern, sondern ihrem Freund, auch <strong>als</strong> der rechtskräftig verurteilt wurde. Von ihren Kindern sagte sie sich los. Mit 12 lernte Conny ihren Vater kennen. Der lebte in Berlin mit neuer Frau und neuen Kindern. Conny durfte zu ihm ziehen. Knapp ein Jahr später ist sie wieder in Leipzig. »Es lief nicht richtig«, sagte sie. Zurückhaltend äußerte sie sich auch über die Zeit danach; darüber wie sie 13-jährig, jetzt in einer WC untergebracht, »Mist« machte. Mist? Naja, mit einer Freundin hat sie sich geprügelt zum Beispiel. Da war sie schon schwanger. Die Blessuren der anderen haben sie vor Gericht gebracht. Als Cindy geboren war, hat sie ihre Strafe in einem Altenhcim abgearbeitet. Seit sie im Agneshaus lebt, verläuft Connys Leben geordneter. Ich frage sie, wie es ihr ging, <strong>als</strong> sie mit 14 erfuhr, daß sie ein Kind bekommen werde. Erst habe sie abtreiben wollen, sagt sie, hat es dann aber nicht getan, weil »ich meinem Kind die Liebe und Geborgenheit geben wollte, die ich von meiner Mutter nie erhalten habe.« Sie sagt »mein Fleisch und Blut«. Und daß Cindy weint, wenn sie weggeht, mache sie irgendwie froh. Als Conny die 8. Klasse beendete - mit einem Durchschnitt von 2,3 - ist sie wieder schwanger, trotz Pille. Sie machte sich an die y. Klasse, im Februar brachte sie Dominik auf die Welt. Der Unterrichtsstoff wurde ihr gebracht, seil April geht sie wieder zu Schule. Mit dem 9. Klasse-Abschluß will sie die Schule im Sommer beenden. Conny hol Glück. Sie wird von vielen Seiten unterstützt: den Betreuerinnen im Heim, ihrem Freund, dem Vater von Dominik, 20 und I lochbau-Azubi, der sie nicht verlassen hat. Von ihrer Klassenlehrerin und den Mädchen und jungen in ihrer Klasse. »Die haben gesagt, sie ziehen vor mir den Hut«. Auf die Frage, was sie denn jetzt weiter machen will, zuckt die junge Mutter die Schultern: keine Ahnung. Am liebsten würde sie Sozial pädagogin werden, »sowas wie die hier machen«. Oder Erzieherin, aber das geht bestimmt nicht, Krankenschwester auch nicht. Da braucht man Re<strong>als</strong>chulabschluß. Vielleicht ein »Berufsvorbercitendes Jahr«? Da denkt sie lieber erst mal an ihren Auszug. Fnde Dezember wird sie 18, und dann will sie mit dem Freund zusammenziehen. Mit ihrem Selbstbewußtsein ist Conny eine Ausnahme. Die meisten der Madchen, die ins Agneshaus kommen, haben wenig Selbstwertgefuhl, sind labil und unsicher in Bezug auf sich und die Menschen, die ihnen nahestehen. Nicht alle bekommen deshalb ein Baby, doch Susanne Richter, die Leiterin des Heims, weiß, daß da Zusammenhänge bestehen. Oftm<strong>als</strong> sind Schwangerschaften bei so jungen Mädchen der Versuch, sich zu vergewissern, ihrer selbst, des Freundes oder auch der Eltern. Im Grunde sind es Hilfeschreie. Die Fachliteratur nennt es unrealistische Lösungsversuche. 14 Plätze hat das Agneshaus, nicht nur fiir Mütter und Kinder. Auch junge Mädchen, die mit ihren Eltern nicht auskommen und solche, die nicht mit Mannern und Jungen unter einem Dach wohnen wollen. Die meisten bleiben zwei bis drei Jahre. Dann haben sie die Schule abgeschlossen, werden 18 und heimmüde. »In diesem Zeitraum kann man viel erreichen«, sagt die Leiterin. Das betrifft vor allem das, was die Mädchen <strong>als</strong> Mütter können müssen; angefangen beim Kochen und Waschen, mit Geld umgehen bis hin zum Planen und Organisieren. Die lebenspraktischen Fertigkeiten erwerben die Mädchen-Mütter während sie die Geborgenheit der Gemeinschaft erleben - das Betreuungskonzept in Kurzform. Das Zusammenleben sei wie in einer großen WG, sagt Susanne Richter, »mit dem Pech, daß wir abends nach Hause gehen.« Sie hat es auch anders erlebt. Noch zu DDR-Zeiten wohnten die Betreuerinnen mit ihren Schützlingen unter einem Dach. Das machte den Alltag einfacher: Vieles ergab sich nebenher, was heute aufwendiger Organisation bedarf. Und die Mädchen halten immer eine Ansprechpartnerin. Andererseits hatten die Pädagoginnen kaum ein eigenes Leben. Susanne Richter erinnert sich an die Frage eines Mädchens: Wann geht ihr denn eigentlich arbeiten?! Heute wäre sie dazu nicht mehr bereit, sagt die 35Jährige Sozialpädagogin. Außer ihr arbeiten fünf, manchmal sechs Pädagoginnen und Praktikantinnen im Agneshaus. 40 Stunden in der Woche. Auch nachts ist immer jemand da. Die Mädels (wie die Betreuerinnen meistens sagen) erledigen einen Teil der anfallenden Arbeiten selbst: Wäschewaschen, Zimmer saubermachen, Abendessen vorbereiten. Welche ihr Kind betreut haben will, muß erklären, warum. All das wird schriftlich fixiert in einer Art Vertrag, dem Hilfeplan. Er wird schon bald nach der Ankunft eines Mädchens erarbeitet, zusammen mit Eltern und Schule. Da steht dann auch, wie die Ausbildung weiterverlaufen soll. Alle halbe Jahre wird der Plan aktualisiert. Natürlich erhalten alle Mädchen die Hilfe, die siebenötigen. Ihre Kinder werden betreut, solange sie in der Schule sind oder wenn sie ubends mal weggehen wollen. Hilfestellungen gibt es weiterhin beim Umgang mit diversen