Download Innenteil als PDF - Weibblick
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•-•"• REPORTAGE "••<br />
daß sie ihnen damit nicht half. Und erziehen?<br />
Das sei gelaufen, dazu sei es<br />
zu spät.<br />
Nicht nur das Betreuungskonzept,<br />
auch der Stellenwert der Religion hat sich<br />
stark verändert. Lediglich ein Holzkreuz<br />
und ein Plakat mit einem Bibetzitat im<br />
Eßzimmer weisen heute sichtbar auf die<br />
Konfessionalität des Mutter-Kind-Heims<br />
hin. Und längst nicht alle Bewohnerinnen<br />
können etwas damit anfangen, wenn sie<br />
kommen. (Das war zu DDR-Zeiten anders.<br />
Da die Behörden kirchliche Heime ignorierten,<br />
kam der größte Teil der Zufluchtsuchenden<br />
aus Kirchenkreisen.) Einmal am Tag<br />
wird ein Gebet gesprochen. Vor dem Abendbrot,<br />
wenn alle um den großen Eßtisch sitzen.<br />
Andere Gelegenheiten, den Glauben in den<br />
Vordergrund zu holen, sind Feste wie Weihnachten<br />
und Ostern und die Hauseinsegnung<br />
jedes Neujahr. Dann kommen Fragen,<br />
dann ergeben sich Gelegenheiten, über Religion<br />
zu sprechen. Niemand soll bekehrt werden,<br />
sagt die Leiterin: »Ein geistlicher Abend<br />
wäre Quatsch, aufgesetzt und Blödsinn.<br />
Das Agneshaus finanziert sich über<br />
Pflegesätze aus städtischen Mitteln. Für<br />
jeden der 14 Plätze bekommt man eine zuvor<br />
ausgehandelte Summe. Darin enthalten<br />
sind sämtliche Kosten vom Essen bis zu den<br />
Gehältern der Mitarbeiterinnen. Der Haken:<br />
Das Geld fließt nur für Plätze, die tatsächlich<br />
belegt sind. Darüber wird im Rathaus entschieden,<br />
denn einweisungsberechtigt ist<br />
allein das Jugendamt.<br />
Fünf Plätze sind frei zur Zeit im Agneshaus.<br />
»Das habe es schon lange nicht mehr<br />
gegeben«, sagt eine Betreuerin. Eine Weile<br />
kämen sie so über die Runden, sagt Frau<br />
Richter. Wenn das Geld knapp wird, müsse<br />
eine Kollegin ihren Arbeitsplatz räumen.<br />
Doch nur solange, bis die Nachfrage wieder<br />
steigt. Bis dahin kann sie in einer anderen<br />
Einrichtung der Caritas arbeiten und muß<br />
nicht entlassen werden. Das ist der Vorteil<br />
des freien Trägers.<br />
Auch die Mädchen-Mütter haben Probleme<br />
mit dem Geld. Im Monat können sie<br />
über ca. 100 Mark verfügen, doch die meisten<br />
lassen sich dazu noch einen Teil des Erziehungsgeldes<br />
auszahlen, das eigentlich gespart<br />
werden soll. Den Verlockungen der<br />
Schaufenster zu widerstehen, seien darin<br />
nun lolle Klamollen, witziges Spielzeug oder<br />
Leckereien, fällt besonders mit 17 nicht leicht.<br />
»Egal«, beharrt Leiterin Susanne Richter,<br />
»sie müssen es lernen.«<br />
»Latzrock-Muttis« nennt man in England Mädchen, die selbst noch Kinder, aber schon<br />
Mutter sind. Seit im vorletzten Jahr der Fall einer 15jährigen, die von einem njährigen<br />
Jungen geschwängert wurde, auf der Insel für Aufsehen regte, zumal die beiden Kids ihr<br />
gemeinsames Kind unbedingt bekommen wollten, stehen die Zeichen der Regierung Blair<br />
wieder auf Alarm. Schließlich machen alleinerziehende Mütter einen großen Prozentsatz<br />
der Sozialhilfeempfänger im Land der Queensmum aus. 200 Millionen Pfund jährlich zahlt<br />
die britische Regierung an Alleinerziehende unter 20 Jahren, von denen allein 75 Millionen<br />
Pfund den unter löjährigen zukommen. Oft haben die sehr jungen Mütter keine Ausbildung<br />
und sind deshalb kaum auf dem Arbeitsmarkt unterzubringen. Auch dann nicht,<br />
wenn ihre Kinder keiner Rundumdieuhrbetreuung mehr bedürfen.<br />
Vor allem aber handelt es sich nicht um ein marginales Problem. England hat bis heute in<br />
Europa die höchste Rate schwangerer Teenager, in der sogenannten ersten Welt folgt die<br />
Insel gleich hinter den USA- Für das Jahr 1993 wurden folgende Zahlen ermittelt: Unter<br />
tausend Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren waren in Frankreich 8,1 Prozent<br />
schwanger und wurden Mutter, in Deutschland 8,7 Prozent, in Spanien 9,2 Prozent und in<br />
den Niederlanden 5,4 Prozent. In England waren es 30,9 Prozent. Weltweit wurden 1996 in<br />
Derselben Altersgruppe rund 15 Millionen Kindfrauen selbst Mutter, oder anders formuliert,<br />
jedes zehnte Kind auf der Erde wird nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks (Unicef) von<br />
einem Teenager geboren.<br />
In England und Wales war die Zahl der Schwangerschaften bei den unter iGjährigen schon<br />
einmal von 9,3 Prozent auf 8,3 Prozent gesunken, seit 1995 ist sie die Geburtenrate bei den<br />
minderjährigen Mädchen allerdings wieder auf 9,5 Prozent geklettert, Tendenz steigend.<br />
Dabei hängt ein solcher Anstieg der Geburten immer mit dem zunehmenden Verzicht auf<br />
Verhütungsmitteln zusammen. Die Zahl der Mütter unter 16 Jahren ist besonders hoch im<br />
Nordosten Englands. Im Vergleich zu den westlichen Midtands, wo 1994 unter den 13- bis<br />
iSjährigen 1,3 Prozent schwanger wurden, und 0,7 Prozent im Südosten, waren es im<br />
Nordosten 1,5 Prozent. Trotz alledem werden die gymslips mums in England weniger.<br />
Brachten sie 1971 noch 83.000 Kinder zur Welt, waren es 1995 nur noch 42.000 Babys.<br />
Das krasseste Beispiel Englands gibt seit Generationen Grimsby, ein gottverlassener Ort<br />
am Ende der Insel, dort wo der Humber in die Nordsee fließt. Eine lokale Studie hatte für<br />
1994 eine Schwangerschaftsrate von 17,4 Prozent bei den unter i6jährigen. Daran hat sich<br />
bis heute nicht viel geändert. Verantwortlich machen die Lokalpolitiker und Sozialarbeiter<br />
vorort die relativ geschlossene Gesellschaft von Grimsby. Wer dort geboren wird, bleibt<br />
auch meist dort hängen. Die nächste größere Stadt ist kilometerweit entfernt, und niemand<br />
muß Grimsby passieren, um woanders hin zu gelangen. Wenig Bewegung heißt aber auch<br />
immer nur wenig Veränderung. Junge Mädchen, die heute in Grimsby mit 13 bis 15 Jahren<br />
Mutter werden, haben meistens eine Mutter und eine Großmutter, die genauso alt waren,<br />
<strong>als</strong> sie das erste Mal schwanger wurden. Und bis heute gilt in Grimsby das Gesetz:<br />
Eine Frau ist immer nur die Frau eines Mannes und nie sie selbst. (P.W.)<br />
Auch Claudia will im Sommer ausziehen,<br />
und eine eigene Wohnung haben. Dann ist<br />
sie 18, und kann tun was sie will. Im Sommer<br />
wird Claudia hochschwanger sein und<br />
ihr Sohn Timmy zwei Jahre alt. Sie zuckt<br />
die Achseln.<br />
Als Antwort auf die Frage, ob sie sich<br />
nicht sorgt um die Zukunft ihrer Mädels,<br />
lacht Susanne Richter erst mal. Dann wird<br />
sie ernst. »Es ist nicht böse gemeint, aber<br />
man ist mit vielen Sachen schon wirklich<br />
abgestumpft. Es gibt Tage, da kann man es<br />
gut sortieren, aber wenn man selber nicht<br />
gut drauf ist, haut es einen um und man<br />
sagt sich, eigentlich müßtest du aufhören,<br />
das schaffst du nie. - Je länger man diese<br />
Arbeit macht, desto realistischer setzt man<br />
Ziele. Unsere Mädchen werden keine<br />
Professorinnen!«.<br />
Claudias größter Wunsch ist es, zu<br />
ihrem 18. Geburtstag nach New York zu<br />
fliegen, dorthin, wo der Bär tanzt und die<br />
Kuh fliegt. Doch an ihrem 18. Geburtstag<br />
ist Claudia im 8. Monat, und Geld hat sie<br />
auch keins.<br />
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