Download Innenteil als PDF - Weibblick
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•• •• FEUILLETON •• ••<br />
.<br />
i 11 .3<br />
Jede Geschichte läßt sich immer<br />
auch anders erzählen, und<br />
mit dem Schicksal der armen<br />
Efifi Briest haben viele Leserinnen<br />
gehadert. So auch ich. In<br />
meiner Version werden zwar<br />
auch fatale Briefe gefunden, aber<br />
sie enthüllen etwas anderes <strong>als</strong><br />
einen Ehebruch. Und sie veranlassen<br />
nicht Baron von Innstetten,<br />
sondern Effi zur Trennung.<br />
Bei Fontäne begibt sich Effi in<br />
eine Berliner Pension, die sich<br />
durch schlechte Luft auszeichnet.<br />
Fontäne erwähnt auch ein<br />
abenteuerlich zusammengewürfeltes<br />
Damenkränzchen,<br />
,aber sollten diese Pensionsgästinnen<br />
tatsächlich nichts<br />
anderes bewirken <strong>als</strong> eine unerquickliche<br />
Atmosphäre, wie<br />
Herr Fontäne meint, der im<br />
übrigen immer wieder andeutet,<br />
daß Effi an Frauen Gefallen<br />
findet?<br />
Fräulein Thea trat auf die Terrasse. Die<br />
Dame, bei der sie sich untergehakt hatte,<br />
mochte um die Vierzig sein, war groß, stattlich<br />
und strahlte vor Vitalität. Ihre üppigen<br />
dunklen Locken harte sie nachlässig unter<br />
ein herrc n hutähnliches Gebilde gesteckt.<br />
Auch ihr übriges Kostüm war wenig damenhaft,<br />
dennoch stand es ihr gut: ein schlichter<br />
Rock mit hüftlanger Jacke, eine weifte Bluse<br />
und eine Krawatte. Ihr gutgeschnittenes<br />
Gesicht bekam durch einen Flaum über der<br />
Oberlippe einen Zug ins Pikante. »Meine<br />
Damen«, sagte Fräulein Thea mit Emphase,<br />
»darf ich bekannt machen, falls Sie unsere<br />
liebwerte Besucherin nicht schon von der<br />
Oper her kennen: Kammersängerin<br />
Marietta Trippelli.«<br />
»Machen Sie's doch nicht so feierlich,<br />
liebes Fräulein Thea, Sie wissen doch:<br />
ich habe keinen Sinn fürs Dramatische«,<br />
sagte Marietta lächelnd.<br />
Wenn die Dame.n wüfsten, daß sich unter<br />
Fräulein Theas wohlkorsettierter Figur im<br />
taubenblauen Seidenkleid samt perfekt geplätteter<br />
Spitzenschürze ein Mann verbarg!<br />
Das Fräulein Thea war ein Herr Theodor -<br />
nicht die Schwester, sondern der Bruder von<br />
Fräulein Martha, eine Frauenseele im Männerkörper<br />
gefangen, wie Fräulein Thea sich<br />
ausdrückte. Marietta hatte ihn (oder vielmehr:<br />
sie) vor Jahren im »Mikado* kennengelernt,<br />
wo viele Herren verkehrten, die sich <strong>als</strong> Damen<br />
kleideten und fühlten. Fräulein Thea hatte<br />
am Flügel gestanden und voller Inbrunst<br />
eines der unsäglich schwülstigen Lieder des<br />
Fürsten Fulenburg zum Besten gegeben.<br />
Bald hatte Marietta die charmante Dame<br />
Thea freundschaftlich in ihr Merz geschlossen<br />
und diese Freundschaft mit der Zeit auch<br />
auf die Schwester ausgedehnt. Fräulein Martha<br />
ihrerseits sah es gerne, wenn die berühmte<br />
Kammersängerin so vollkommen ohne Allüren<br />
und ganz ohne die Herablassung<br />
der GroKen und Gefeierten in ihrer Pension<br />
Besuch machte. Manchmal lieK die Trippelli<br />
sich sogar überreden, einige Lieder vorzutragen.<br />
Fine solche Gelegenheit verfehlte ihren<br />
Eindruck auf die Gäste nie. Das waren, vermutete<br />
Marietta, die Augenblicke, in denen<br />
Fräulein Martha sich mit der Neigung ihres<br />
Bruders fast versöhnte. Denn vor nichts hatte<br />
Fräulein Martha solche Angst wie vor Entdeckung.<br />
»Ich weiß nicht, weshalb du dich<br />
alterierst, meine Liebe«, pflegte Fräulein Thea<br />
zu sagen. »Ich verfüge über eine hochoffizielle<br />
Genehmigung unseres Herrn Regierungspräsidenten,<br />
weibliche Kleidung tragen<br />
zu dürfen. Und da bin ich nicht die einzige.<br />
Ich könnte dir einige Schwestern aus den<br />
ersten Kreisen nennen.«<br />
»Aber wenn es aufkommt, Thea, der<br />
Skandal!«<br />
Nun, dachte Marietta, es kommt nicht<br />
heraus, dazu spielte Fräulein Thea ihre<br />
Rolle, wenn es denn eine war, viel 'iu gut.<br />
In kürzester Zeit hatten sich fast alle Pensionsgäste<br />
auf der Terrasse versammelt. Eine<br />
musikbegeisterte junge Engländerin nahm<br />
Marietta sogleich in Beschlag, eigentlich eine<br />
Unhöflichkeit, aber die übrigen Damen schienen<br />
es dem Enthusiasmus der jungen Frau<br />
zugute zu halten. Marietta stand der Sinn<br />
nicht nach musikalischen Erörterungen.<br />
Sie hatte einen anstrengenden Tag im Aufnahmestudio<br />
der Grammophongesellschaft<br />
verbracht. Mal mußte der Gesang, mal die<br />
Klavierbegleitung wiederholt werden. Fs<br />
war eine rechte Ochsentour gewesen, eine<br />
zu lukrative freilich, <strong>als</strong> daß sie das Angebot<br />
hätte aussschlagen mögen. Nun empfand<br />
sie das dringende Bedürfnis nach ganz alltäglichem<br />
Geplauder.<br />
Der Tee wurde serviert. Das Gesicht einer<br />
soignierten etwa fünzigjährigen Dame aus<br />
London, einer Mrs. Douglas, kam Marietta<br />
vage bekannt vor. Sie hatte es allerdings lange<br />
aufgegeben, solchen Eindrücken nachzugehen,<br />
Ihre Gastspiel- und Konzertreisen brachten<br />
sie über die fahre mit so vielen Menschen<br />
zusammen, daß es Sisyphusarbeit gewesen<br />
wäre, sich deren Gesichter alle einprägen ?u<br />
wollen. Eine junge F'rau dagegen, mit Schatten<br />
unter den Augen, weckte sofort Erinnerungen:<br />
Gieshüblers Salon in Kessln, ein<br />
gestriegelter Landrat und seine mädchenliaft<br />
>*