Download Innenteil als PDF - Weibblick
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TITEL<br />
Ein Frauenleben in Rumänien<br />
Erst <strong>als</strong> ich Lilo neun Jahre nach unserer<br />
ersten Zusammenkunft sah, fiel mir auf, wie<br />
jung sie dam<strong>als</strong> gewesen war und daß sie jetzt,<br />
eine Frau von sechsunddreißig jähren, ihre<br />
zarte Schönheit, die in einer sehr weißen Haut<br />
und einem feingliedrigen Körper lag, <strong>als</strong> etwas<br />
Vergangenes zu betrachten gelernt hatte. Es<br />
gab dam<strong>als</strong> gerahmte Portraitaufnahmen von<br />
ihr in ihrer Wohnung, von bekannten Fotografen.<br />
Sie war das gehätschelte Kind der im<br />
Land gebliebenen deutschsprachigen Kulturgemeinschaft,<br />
ein Bündel Energie und Mitgefühl,<br />
das viel wußte, viele kannte und<br />
aufgrund seiner moralischen Integrität für<br />
Literaten wie Journalisten, für Musiker und<br />
Akademiker oftm<strong>als</strong> der einzige Anlaufpunkt<br />
war, um ein Gespräch zu führen. Ohne eine<br />
Intrige befürchten zu müssen oder um eine<br />
Hilfe anzunehmen, die an eine Bedingung<br />
geknüpft war. Ihr Studium an der Universität<br />
in Bukarest an einer Fakultät, die die Rumänen<br />
in der Tradition Frankreichs »Litere«<br />
(lettres) nennen, schloß sie mit einer soziologischen<br />
Arbeit über die deutschen Dörfer im<br />
Banat ab, die zum Zeitpunkt, <strong>als</strong> sie zur Verteidigung<br />
ihres Diploms anhob, zum großen<br />
Teil schon verlassen waren und nunmehr ein<br />
historischer Gegenstand. Durch Siebenbürgen<br />
reisend sah ich später die Ruinen der<br />
Häuser, die Lilo, <strong>als</strong> die Farben auf den Mauern<br />
noch nicht verblaßt waren, für den Anhang<br />
ihrer Arbeit auf Fotografien festgehalten hatte.<br />
Dam<strong>als</strong>, im ersten Jahr nach der Revolution,<br />
lebte ihre Mutter noch, eine würdevolle<br />
Kettenraucherin mit Augen wie Romy Schneider.<br />
Es hieß, daß sie seit einem - Jahrzehnte<br />
zurückliegenden - Tag, an dem sie von einem<br />
Auto angefahren worden war, das Haus nicht<br />
mehr verlassen habe. Als Ehefrau eines hohen<br />
Funktionärs, der die deutsche Minderheit -<br />
die in Rumänien von den sechziger bis zu<br />
den achtziger Jahren eine relativ weitreichende<br />
kulturelle Autonomie besaß - in den Entscheidungsgremien<br />
des Zentralkomrnitees<br />
vertrat, wurden ihr insbesondere in der jungen<br />
sozialistischen Republik Privilegien zuteil,<br />
wie sie großbürgerliche Haushalte gepflegt<br />
haben mögen: I.ebensmittelheferungen am<br />
Dienslboteneingang, der in die Küche der<br />
modernen Wohnung (auf dem Boulevard mit<br />
Innen- und<br />
Außenperspektive<br />
miteinander<br />
verflochten<br />
den Botschaften) mündete. Daß die Mittelschicht<br />
in Rumänien bis dahin in zwar<br />
bescheidenem, aber den Bruderländcrn in<br />
nichts nachstehendem Wohlstand lebte, ist<br />
im Ausland kaum noch bekannt. Den einsetzenden<br />
Zusammenbrach der Ökonomie<br />
Anfang der achtziger fahre - jene bittere<br />
Armut <strong>als</strong>o, die über die Bevölkerung fast<br />
schlagartig und von einer perfiden Arroganz<br />
der gegenteilig lautenden offiziellen Verlautbarungen<br />
begleitet einbrach, hat diese Frau<br />
möglicherweise nicht mehr mit eigenen Augen<br />
gesehen. Sie hätte, wieviele Menschen, die in<br />
der forcierten Industrialisierung Rumäniens<br />
nicht nur ein politisch- ökomisches Dogma,<br />
sondern auch einen Fortschritt erblickten,<br />
allen Grund gehabt, eine andere Sicht von<br />
ihrem Land zu bewahren.<br />
Ich weiß nicht, ob Lilo zu der Zeit, <strong>als</strong><br />
meine Großmutter noch in Rumänien lebte<br />
und kein deutschsprachiges Magazin und<br />
keinen Heinz-Rühmann-Film ausließ, bereits<br />
die Moderation der deutschen Sendung im<br />
staatlichen Rundfunk übernommen hatte.<br />
Ihr Deutsch ist perfekt, ihre Sprach kompetent<br />
erstaunlich: Ausgeprägte Diktion, akzentfreie<br />
Aussprache. Sie schreibt Briefe mit langen,<br />
gewundenen Einleitungen, mit Übergängen,<br />
die den Adressaten in die nächste Erzählung<br />
hineinziehen, mit Darstellungen, die Innenund<br />
Außenperspektiven miteinander verflechten:<br />
Lilo im Abenkleid. aus dem Athenäum<br />
kommend, beim Solisten des Konzertes<br />
untergehakt, während auf den Boulevards<br />
Bukarests noch Autowracks ausglühen nach<br />
verheerender Straßenschlacht. Später, nach<br />
dem Sturz des Regimes, in jener ersten Zeit,<br />
in der die Öffentlichkeit der Hauptstadt in<br />
großem rührendem Taumel die Befreiung<br />
von den rigiden Erlassen der diktatorischen<br />
Führung genoß und die Machtmechanismen<br />
der neuen Regierung noch nicht beachtete,<br />
fing Lilo eine eigene, täglich ausgestrahlte<br />
Kultursendung für die internationale Welle<br />
in deutscher Sprache an. Früher hielt sie ihr<br />
hübsches Gesicht für Verlautbarungen hin,<br />
die vorzutragen ihr weniger ihre Gaben und<br />
Fähigkeiten, sondern ihre untadelige Herkunft<br />
aus politisch eindeutig positionierter<br />
Familie ermöglicht hatte.<br />
von Irina Rudolph<br />
Mitte der Achtziger war sie mit einer<br />
ersten Reportage über »Die Karpaten im<br />
Sommer« redaktionell beauftragt worden,<br />
und sie fuhr für ein Wochenende in die Berge<br />
mit dem dam<strong>als</strong> begehrtesten Kameramann,<br />
der kürzlich erst mit einer prämierten Dokumentation<br />
Aufsehen erregt hatte. Nicht unüblich,<br />
wurde dieser Ausflug später durch eine<br />
Heirat legalisiert. Lucian, der dam<strong>als</strong> mit<br />
einer Ingenieurin verheiratet war, ließ sich<br />
scheiden und zog zu Lilos Familie, die ihn,<br />
einen Rumänen aus einfacheren Kreisen, stets<br />
spüren ließ, daß er ihr an Herkunft und Bildung,<br />
in Kultur und Sitte unterlegen war. Wo<br />
immer im Land, ob in der Moldau oder im<br />
Banat, in den deutschen Hochburgen, auf<br />
dem Land oder in den Städten, gab es schon<br />
immer diesen Hegemonialanspruch der<br />
deutschen Minderheil: Ihre Tugenden werden<br />
hoch geachtet, ihre Namen genießen Ansehen,<br />
werden sie doch mit einer Mentalität in Verbindung<br />
gebracht, die die rumänische Mehrheit<br />
für unerläßlich hält, um Wohlstand zu<br />
erlangen, aber so fernab ihrer eigenen latinischen<br />
Wurzeln liegt, dafs außer Bewunderung<br />
kein anderer Berührungspunkt möglich<br />
erscheint. In Lilos Familie, ursprünglich aus<br />
Temesvar, war dies die erste Mischehe seit<br />
Jahrhunderten.<br />
Lucian hat das Gefühl der Minderwertigkeit<br />
nie abgelegt, und revanchierte sich dafür<br />
mit stetigen Demütigungen seiner Frau. Lilo<br />
selbst hatte sich so viel kindlichen Frohmut.<br />
Respekt gegen sich selbst und andere und eine<br />
naive Direktheit im sozialen Umgang bewahrt,<br />
daß sie für Rollenbilder, wie sie Lucian<br />
für seine Vorwürfe brauchte, verloren war.<br />
Für gewöhnlich stößt die stark patriarchale<br />
Gesellschaftsordnung, die die rumänische<br />
Kultur prägt, auf große Akzeptanz: daher<br />
erklärt sich auch die absolute Unfähigkeit,<br />
I lomosexualität zu tolerieren, geht von ihr<br />
die stärkste Verunsicherung der Geschlechtermuster<br />
aus. Männer sind Männer und Frauen<br />
sind Frauen: Die Beziehungen sind extrem<br />
sexualisiert, der Umgang streng reglementiert,<br />
Freundschaft ohne erotisches Motiv gilt<br />
zwischen den Geschlechtern <strong>als</strong> unmöglich,<br />
<strong>als</strong> öffentliche Berührung dominiert der<br />
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