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FEUILLETON<br />

rt "l TO<br />

liebliche Neuvermählte, ein Liederabend und<br />

eine Unterhaltung über Gespenster. Marietta<br />

erinnerte sich sogar des Namens: Baronin<br />

Innstetten. Gieshübler hatte ihr vor |ahren<br />

geschrieben, daß der Landrat mit Familie -<br />

eine Tochter war geboren worden - nach<br />

Berlin berufen worden sei. Ob die Baronin<br />

wußte, daß Gieshübler gestorben war? Ob es<br />

ihr überhaupt genehm war. sich der Bekanntschaft<br />

zu erinnern oder sie zu erneuern?<br />

Die grauhaarige Dame mit dem herouchen<br />

Namen sprach wenig, aber wenn,<br />

dann war es Deutsch mi necklenburgischer<br />

Färbung. »Sie führen einen sehr geschichtsträchtigen<br />

Namen, gnädige Frau«,<br />

konstatierte Marietta. »War's unter Maria<br />

Stuart oder später, daß er zu Ehren kam?<br />

Ich weiß es nicht mehr. Er kommt in meiner<br />

Lieblingsballade vor, müssen Sie wissen.«<br />

»Ich hab es getragen sieben Jahr', ich<br />

kann es nicht tragen mehr, wo immer die<br />

Welt am schönsten war, da war sie öd und<br />

leer«, deklamierte Baronin Innstetten, und<br />

das Lächeln, das eben noch um ihre Lippen<br />

gespielt hatte, verschwand ganz plötzlich.<br />

»Liebste gnädige Frau«, flehte Fräulein<br />

Thea mit ihrer samtigsten Stimme, ȟberlassen<br />

wir doch die Herren Männer ihren Heldentaten<br />

und seien wir froh, daß wir friedlich<br />

überm Stickrahmen sitzen dürfen. Diese<br />

schicks<strong>als</strong>chwangeren Balladen müssen von<br />

Dichtern stammen, die zu schwer gegessen<br />

haben. Darf ich Ihnen noch einen Baiser<br />

reichen?« Alles lachte.<br />

Geschickt lenkte Marietta die Konversation,<br />

in der sie den Mittelpunkt bildete, über<br />

Genüsse, Kunstgenüsse. Gastspiele, Gastspiele<br />

an Provinzbühnen und schließlich<br />

Provinz schlechthin an den Punkt, an dem<br />

sie ihre Heimatstadt ins Spiel bringen<br />

konnte:<br />

»Sagen Sie mir nichts gegen die Provinz,<br />

Baronin. Ich selbst bin in einem rechten Provinznest<br />

aufgewachsen. Kessin in Pommern.«<br />

Bei der Erwähnung Kessins beugte sich<br />

Mrs. Douglas tiefer über ihre Stickerei.<br />

Nun ja, dachte Marietta, wer aus London<br />

kam, dem mochte eine kleine Hafenstadt<br />

an der Ostsee langweilig erscheinen.<br />

»Das Leben in der Provinz«, fuhr sie fort,<br />

»besitzt doch einen entschiedenen Vorzug.<br />

Die Originale leuchten um so deutlicher aus<br />

der Masse der Alltagsmenschen hervor. In<br />

Kessin hatten wir einen Apotheker, übrigens<br />

war er der einzige, der sich für mich und<br />

mein Ges^"osstudium einsetzte, und wer<br />

weiß, wo ich heute stünde ohne ihn! Schon<br />

sein Name war apart: Alonzo Gieshübler.<br />

Leider weilt er nicht mehr unter den Lebenden.«<br />

Marietta tat ihrem verstorbenen Freund<br />

im stillen Abbitte, daß sie ihn mißbrauchte,<br />

um die Baronin aus ihrer Reserve zu locken,<br />

doch die Taktik erreichte ihren Zweck. Frau<br />

von Innstetten erzählte nun, sie habe selbst<br />

einige Jahre in ebendiesem Kessin zugebracht,<br />

wobei sie geflissentlich vermied, den<br />

Gatten zu erwähnen. Und nun kam sie auch<br />

auf die Begegnung mit der Kammersängerin<br />

im Hause Gieshübler zu sprechen.<br />

»Das IM jetzt wohl neun Jahr her, mein<br />

gnädiges Fräulein. Ach, es war ein schöner<br />

Abend, gewiß einer der schönsten, den ich<br />

dort verbrachte«, erklärte Frau von Innstetten.<br />

»Wir sprachen über Kunst, gnädige<br />

Frau«, fiel Marietta ein, »was natürlich immer<br />

obligatorisch ist, und über Gespenster.<br />

Sie lebten, wenn ich mich recht entsinne,<br />

in einem Hause, das <strong>als</strong> Spukhaus galt?«<br />

»Ja, und mir ist, <strong>als</strong> ob ich mich dam<strong>als</strong><br />

gefürchtet hätte«, lächelte Frau von Innstetten,<br />

»völlig unnötigerweise. Denn was hätte<br />

mir der Chinese - es ging nämlich um einen<br />

Chinesen, wie ich Mrs. Douglas schon berichtete<br />

- auch antun können? Mit Chinesen war<br />

ich immer gut freund. Als Kind dachte ich<br />

mir Geschichten aus«, und hier nahm das<br />

Gesicht der Baronin einen fast kindlich-weichen<br />

Zug an, »<strong>als</strong> Kind dachte ich mir immer<br />

Geschichten aus, in denen ein Chinese die<br />

Hauptrolle spielte.«<br />

Plötzlich fiel die Terrassentür geräuschvoll<br />

ins Schloß. »Ich bitte sehr um Entschuldigung!<br />

Für meine Verspätung und den Lärm«,<br />

sagte die Störenfriedin mit englischem<br />

Akzent und schalkhaftem Lächeln. Sie<br />

mochte in Mariettas Alter sein, hatte fuchsrotes<br />

Haar, das sie ungewöhnlich kurz trug,<br />

und braune Augen. »Sie müssen die berühmte<br />

Miss Trippelli sein. Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.<br />

Meine junge Cousine schwärmt<br />

für Sie, wie Sie sicher schon bemerkt haben.<br />

Ich bin Miss Sharp, die Majestätsbeleidigerin.<br />

Habe mich hier durch eine Bemerkung über<br />

den Kunstverstand Ihres Kaisers unpopulär<br />

gemacht.«<br />

Marietta lachte. Stühle wurden gerückt,<br />

ein weiteres Gedeck gebracht, Tee eingeschenkt,<br />

Zuckerdose und Gebäck herumgereicht.<br />

»Darf ich rauchen?« fragte Miss<br />

Sharp, was ihr gnädigst gestattet wurde.<br />

Doch nur die Cousine nahm von dem angebotenen<br />

Etui und gab es an Marietta<br />

weiter.<br />

»Mögen Sie auch ein paar Züge vom<br />

Hauch des Paradieses, Madam?« fragte sie<br />

mit einem tiefen Blick in Mariettas Augen.<br />

»Wo denken Sie hin, meine Liebe! Ich brauche<br />

meine Stimme um mir die Brötchen zu<br />

verdienen, und von Zeit zu Zeit etwas Kaviar<br />

drauf.«<br />

Die Majestätsbeleidigerin lachte: »Jedem<br />

Tierchen sein Pläsierchen, so sagt ihr Deutschen<br />

doch, nicht wahr? An Kaviar wird es<br />

Ihnen gewiß nicht mangeln.«<br />

Bald darauf verabschiedete sich die Trippelli.<br />

Frau von Innstetten zog sich mit Kopfschmerzen<br />

in ihr Zimmer zurück. Also von<br />

den Zigaretten der beiden Engländerinnen<br />

kam der sonderbare Weihrauchgeruch!<br />

Die Sängerin ging ihr die ganze Zeit über<br />

nicht mehr aus dem Sinn. An diesem<br />

Abend stickte sie nicht weiter.<br />

aus; Dorothee Keuler:<br />

»Das wahre Leben der Ejß B.«<br />

© 1998 by Haffmanns Verlag AG, Zürich<br />

211999

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