Download Innenteil als PDF - Weibblick
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UNTERWEGS<br />
Raymond überzeugt mich aber durch<br />
eine ganz andere Behauptung. Wegen seiner<br />
außerordentlich günstigen Lage seien in<br />
Hongkong vor allem auch Frauen sehr erfolgreich,<br />
geschäftlich wie politisch. Dies zumal<br />
wir seit 1984 auf der Energiestufe 7 leben<br />
würden, die unter anderem alles, was mit<br />
dem Mund und dem Weiblichen zu tun hat,<br />
bereichert. Man muß sich das so erklären,<br />
daß das Feng Shui einen Kreislauf von 180<br />
Jahren mit neun Energiestufen hat, <strong>als</strong>o alle<br />
20 Jahre die Stufe wechselt. Bis 2004 befinden<br />
wir uns <strong>als</strong>o jetzt noch auf der mündlichen<br />
und weiblichen siebten Stufe. Raymond<br />
macht das im übrigen daran fest, daß erst<br />
seit 1984 die Handys ihre Blüte erleben und<br />
Frauen wie Margret Thatcher, die ehemalige<br />
englische Premierministerin, und Madeleine<br />
Albright, die amerikanische Außenministerin,<br />
mit großem Erfolg das Parkett der hohen<br />
Politik betreten hätten. Bleiben mir <strong>als</strong>o noch<br />
fünf Jahre für den eigenen Durchbruch und<br />
die Milliardäre erstmal gestohlen, die ja<br />
doch nur mit dem ganzen Familienclan hinter<br />
einem Fenster in einer himmelhohen Wohnbüchse<br />
zu hausen scheinen und deshalb auch<br />
die Wäsche zum Fenster raushängen müssen.<br />
Ihre »internationale Flagge« nennen die<br />
Hongkonger ihre Wäsche, um zu kaschieren,<br />
daß hier eigentlich zu viele Menschen auf zu<br />
wenig Raum leben. Jahrelang zum Beispiel<br />
landete der Müll der Stadt im Viktoriahafen,<br />
jetzt spuckt der ihn wieder aus: Die Wasserverschmutzung<br />
ist Hongkongs größtes Problem,<br />
Bakterienalarm wie auch dieser Tage<br />
nicht selten. Auf dem Wasser ist davon nicht<br />
viel zu sehen, <strong>als</strong> ich mit der Fähre von Kowloon<br />
nach Hongkong-Island rüberschipper.<br />
Ein oranger Sonnenball sinkt langsam hinter<br />
der Skyline in die Dämmerung, das Meer<br />
glänzt und glitzert, <strong>als</strong> fielen ständig Gold-<br />
"-'— Hinein, und auch ich möchte jetzt nichts<br />
.vie der weiße Mann von der Barkasse.<br />
Auf der anderen Seite sind wir im Goethe-<br />
Institut, das im Arts Centre residier verabredet.<br />
In einem der 17 Stockv>.<br />
rade Kinder und Jugendliche aus. Zum Beispiel<br />
ein Bett mit einer bunten Patchworkdecke,<br />
auf der mit Filzstift Gedanken zu Leben und<br />
Tod fixiert sind: »Ich hatte einen komischen<br />
Traum«, steht da, oder: »Ich lie1-- Oich mein<br />
Stinke.' • chlaferli - Schnapperli«, aber<br />
auch: »Das Leben ist nur ein Traum!! und<br />
der Tod ist das Erwachen vom Leben! Laßt<br />
uns sterben!! alle!« Die »Farben der Poesie«<br />
nennt sich diese Arbeit, und ich frage mich,<br />
ob dieses Kind auch noch Kunst wird machen<br />
können, wenn es erstmal erwachsen ist, und<br />
wie es sich in Hongkong dann, etwa 15 Jahre<br />
nach der Übernahme durch China leben wird.<br />
Knapp zwei sind erst herum, und Kunst fast<br />
nur in Nischen wie dieser möglich.<br />
Unten im Kino läuft gerade eine vom<br />
Goethe-Institut veranstaltete Reihe mit deutschen<br />
Filmen. Ich gehe hin und lande in »Kurz<br />
und schmerzlos« von Fatih Akan. Verrückt!<br />
Da bin ich in Hongkong und sehe mir einen<br />
deutschen Film von einem Türken mit englischen<br />
Untertiteln an, <strong>als</strong> wäre es das Norm<strong>als</strong>te<br />
auf der Welt. Als ich rauskomme,<br />
regnet es, und die Straßen sind abgesehen<br />
von Autos und Bussen wie leergefegt. Erst<br />
in der U-Bahn sind die Menschenmassen<br />
plötzlich wieder da: Die Waggons saugen sie<br />
in Tausenden auf wie ein Badewannenabfluß<br />
das Wasser. Und alle telefonieren mit ihrem<br />
Handy: Strahlungsenergiestufe wohl 7!<br />
Am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe<br />
sehe ich zum ersten Mal Fahrradfahrer,<br />
zwei alte Männer auf klapprigen Drahteseln.<br />
Auf den Straßen ist noch nicht viel los, und<br />
die Busse sind fast leer. Die wenigen Passagiere<br />
schlafen noch. Auch die andere Journalistin<br />
hat heute früh in der Hotellobby noch<br />
gepennt und sich ihre Tasche klauen lassen.<br />
Die beiden Galeristen haben verpennt, und<br />
so fahre ich nur mit dem Fotografen und<br />
unserer Führerin auf eine »Gesundheitstour«<br />
in Hongkong-Island: Morgengymnastik,<br />
die hier Sheiko heißt, im Viktoriapark,<br />
dann Teezeremonie in einem alten, traditionellen<br />
Teeladen und Besuch einer chinesischen<br />
Apotheke stehen auf dem Plan, was man bei<br />
soviel B<strong>als</strong>am für Leib und Seele nur mit<br />
einem vegetarischen Essen abschließen kann.<br />
Kunst sehe ich natürlich auch wieder,<br />
steht ja jeden Tag auf dem Programm: Treffen<br />
mit Künstlern, Atelierbesuche. Der Blick ins<br />
Museum ist kein Muß. Besonders gut gefallen<br />
mir Bilder eines ehemaligen Krankenpflegers<br />
einer psychiatrischen Klinik. Chu Hong Wah<br />
ist einer von etwa 1000 Künstlern in der Stadt,<br />
der die Kunst erst während einer Fortbildung<br />
in London entdeckte und sich bis zu seiner<br />
Pensionierung <strong>als</strong> Sonntagsmaler bezeichnete.<br />
Heute vertritt den 6ojährigen Hongkongs<br />
weltweit renommierteste Galerie, Hanart T Z,<br />
und eines seiner so schlichten wie treffenden<br />
Bilder hängt drüben in Kowloon im Museum<br />
of Art. Flächendeckende Karomuster <strong>als</strong><br />
Sinnbilder für Hochhausfronten und davor<br />
hockende Menschen, oft alt und gebückt,<br />
bringen die unterschiedlichen Welten der<br />
alten chinesischen Traditionen und der Isolation<br />
durch die Ghettoisierung in anonymen<br />
Wohnblöcken auf den Punkt in seinen teilweise<br />
pointilistischen Bildern.<br />
Eher ein Zufall führt uns in den China<br />
Club, in der alten Bank of Hongkong, einem<br />
abgebrochenen Empire State Building - so<br />
siehts jedenfalls aus. Hier im 14. Stockwerk<br />
pflegen wirklich nur die oberen Zehntausend<br />
der Stadt zu speisen, in einem Jugendstilsaal<br />
mit chinesischen Glaslampions und Gemälden,<br />
die die Wände oberhalb der Holzvertäfelungen<br />
tapezieren, wahrend ich mit silbernen<br />
Stäbchen in meinem Essen stochere, fällt<br />
mein Blick ständig auf das schwanenh<strong>als</strong>ige<br />
Brustbild einer Chinesin von Modigliani. Um<br />
mich herum sitzen jetzt <strong>als</strong>o die Milliardäre.<br />
Unten im Schatten der neuen Bank of Hongkong<br />
rasten an diesem Sonnabend ihre philippinischen<br />
Hausmädchen an ihrem freien<br />
Tag und verzehren mit den Händen ihr mitgebrachtes<br />
Mittag. Es könnte ein Bild von<br />
diesem Krankenpfleger sein. Genauso wie<br />
der blinde Straßenmusiker, dem ich auf dem<br />
Weg zurück zum Hotel begegne, der ohne es<br />
sehen zu können, neben einem Schild sitzt,<br />
auf dem steht: »Das Verteilen von Flugblättern<br />
ist verboten«. Das Demonstrieren mittlerweile<br />
im Prinzip auch, seit Bejing die<br />
Politik der Stadt dirigiert. Und das zehn Jahre<br />
nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen<br />
Frieden in Bejing, wo sich Tausende<br />
von Studenten für die Demokratie versammelten<br />
und das mit ihrem Blut bezahlten.<br />
Ich habe jetzt mein eigenes Bild von<br />
Hongkong. Zu dem gehören auch die Menschen,<br />
die tatsächlich wie der weiße Mann<br />
auf alten Booten leben. Es sind die sogenannten<br />
Tankas, die Ureinwohner dieses<br />
Meeres- und Landeszipfels und die schon<br />
immer mehr zu Wasser <strong>als</strong> auf dem Land<br />
lebten. Umschlossen von den Sozialwohnungsblocks<br />
des Stadtteils Aberdeen hausen<br />
sie auf abgewetzten Holzkähnen, ziehen<br />
Pflanzen, halten sich erbärmlich stinkende<br />
Tauben und trocknen in der Sonne Fische,<br />
was auch nicht besonders gut riecht. Die<br />
Häuser sind oft bis an die Kaimauern heran<br />
gebaut, dazwischen haben gerade noch ein<br />
Friedhof und ein Schrottplatz Raum. Struppige<br />
Hunde wühlen sich durch die Abfälle,<br />
während nur einige Meter weiter teure »Floating<br />
Restaurants« im Hafen von Aberdeen<br />
auf die Milliardäre warten. Das muß auch<br />
so ein Punkt geballter Energien sein.<br />
Informationen zur Reisetour u. Terminen:<br />
Asian Fine Arts Factory,<br />
Sophienstr. 18,10178 Berlin,<br />
Tel.: (030) 28 39 13 87<br />
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