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REPORTAGE<br />

Ämtern. Wenn eine auszieht, wird nach<br />

Wohnung und Möbeln Ausschau gehatten.<br />

Da springt auch Susanne Richter ins Auto,<br />

um im Baumarkt ein Regal zu kaufen. An<br />

viele Einrichtungsgegenstände kommen die<br />

Agneshäuslerinnen kostenlos, dank der Vernetzung<br />

mit anderen Carilas-Einrichtungen.<br />

Auch nach dem Auszug bietet das Agneshaus<br />

Hilfe an. Ungefähr ein halbes Jahr lang<br />

kommen die jeweiligen Betreuerinnen zu den<br />

Mädchen nach Hause und helfen.<br />

In ihrer sozialen Arbeit mit den jungen<br />

Frauen sind die Betreuerinnen auf das angewiesen,<br />

was die Mädchen erzählen. Meist<br />

öffnen sie sich abends, wenn die Kinder<br />

schlafen und Ruhe einkehrt, erzählt Katrin<br />

Kammlot. Sie arbeitet seit sechs Jahren <strong>als</strong><br />

Erzieherin im Agneshaus. Gespräche und<br />

individuelle Zuwendung hält sie für sehr<br />

wichtig, denn »die Mädels haben viel aufzuarbeiten«.<br />

Bei den meisten wäre zusätzlich<br />

psychologische Hilfe angebracht, eine Therapie.<br />

Die Bereitschaft dazu sei bei so jungen<br />

Leuten jedoch gleich Null, weiß Katrin<br />

Kammlot, es fehle der Leidensdruck und<br />

schließlich seien die Mädchen noch im Werden,<br />

eben noch keine Frauen, auch wenn sie<br />

schon Kinder haben.<br />

Pädagoginnen in einem Mutter-Kind-<br />

Heim haben viel zu leisten: Sie müssen den<br />

jungen Müttern beistehen bei deren Reifung<br />

und sie begleiten im Hinblick auf Einstellung<br />

und Umgang mit ihrem Kind. Denn das<br />

Dilemma der jungen Mütter besteht darin,<br />

daß sie selbst noch viel brauchen, und daß<br />

ihre Bedürfnisse nach Kontakten und Abenteuern<br />

auf die ihres Kindes nach Ruhe und<br />

Geborgenheit stoßen. Meist zahlen dafür die<br />

Kinder, sagt Susanne Richter. Ein alltägliches<br />

Beispiet ist das morgendliche Aufstehen. Die<br />

Kinder erwachen - wie überall - meist vor<br />

ihren Müttern. Die schlafen gern lange und<br />

werden oft nicht mal munter, wenn ihr Kind<br />

weint. Doch die Betreuerinnen sind davon<br />

überzeugt, daß sie beiden, Kindern und Müttern,<br />

nicht wirklich helfen, wenn s i e die<br />

Kleinen aus dem Bett holen.<br />

Alles in allem ist das Leben, so wie es<br />

sich Tag für Tag abspielt, dem in einer<br />

großen Familie nicht unähnlich. Es gibt verbindliche<br />

Regeln und es passieren Überraschungen.<br />

Vielleicht ein paar mehr <strong>als</strong> in<br />

einer Familie, vielleicht auch schlimmere.<br />

Grausam war die Entdeckung, daß der einjährige<br />

Erik unter den Augen der Betreuerinnen<br />

mißhandelt wurde, ohne daß es jemand<br />

gemerkt hatte. Der Täter war der Freund<br />

der Mutter. Natürlich wurde man stutzig, <strong>als</strong><br />

der Kleine eines Tages nicht mehr krabbelte,<br />

man mit ihm in der Kinderklinik war. Doch<br />

die Ärzte fanden nichts. Erst <strong>als</strong> Erik eines<br />

Tages bewußtlos wurde und der Notarzt kam,<br />

stellte man fest, daß sein Schädel gebrochen<br />

war, ebenso wie die Arme, und daß innere<br />

Organe verletzt waren, Der Täter sitzt mittlerweile<br />

im Gefängnis, dem Richter hatte er<br />

erzählt, es seien »pädagogische Maßnahmen«<br />

gewesen. Auch die Mutter des kleinen Erik<br />

hat aufgrund ihrer früheren Erfahrungen<br />

ein besonderes Verhältnis zu Gewalt. Sie<br />

schwieg und das Beispiel zeigt, daß es nirgendwo<br />

Schutz gibt, wenn einmal die<br />

Seele beschädigt ist.<br />

Die Energie für ihre Arbeit beziehen<br />

die Pädagoginncn zum großen Teil aus<br />

ihrem Glauben. Die meisten sind katholisch.<br />

Der Glaube bedeute für sie wahre Menschlichkeit,<br />

sagt Susanne Richter. Diese Haltung<br />

werden auch die katholischen Fürsorgerinnen<br />

gehabt haben; die hier wirkten im Laufe der<br />

80 Jahre, die das Heim besteht. Das Agneshaus<br />

ist die älteste Mutter-Kind-Einrichtung<br />

im Osten Deutschlands.<br />

Seine Entstehung verdankt es in starkem<br />

Maße den Sorgen und Nöten zugewanderter<br />

junger Mädchen aus dem Rheinland, Westfalen,<br />

Böhmen und Bayern. Sie alle suchten<br />

Arbeit und Glück in der Messestadt. Die<br />

Mädchen aus Bayern zumeist <strong>als</strong> Kellnerinnen.<br />

Daß es zu dieser Zeit zu den besonderen<br />

»Berufsnöten« einer Kellnerin gehörte,<br />

geschlechtskrank oder straffällig zu werden,<br />

wurde erst sehr spät bemerkt.<br />

1900 schuf Agnes Neuhaus in Dortmund<br />

den Katholischen Fürsorgeverein für Frauen<br />

und Mädchen. Elf Jahre später entstand die<br />

Leipziger Ortsgruppe, 1919 wurde die erste<br />

Zufluchtsstätte mit fünf Betten eingeweiht.<br />

Zehn Jahre später zog die Gruppe an die<br />

heutige Adresse und bekam in Gedenken<br />

an Agnes Neuhaus deren Namen.<br />

Natürlich hat sich des Betreuungskonzept<br />

im Laufe der Jahrzehnte stark gewandelt. In<br />

den ersten Jahren und Jahrzehnten nahmen<br />

die Fürsorgerinnen noch eine Art Mutterrotle<br />

an. Sie waren bestrebt, ihre Schützlinge auf<br />

den rechten Pfad zu führen. Wenn schon<br />

nicht den Pfad der Tugend, so doch den des<br />

Fleißes. Was sie für ihre Mädels sei, frage ich<br />

Katrin Kammlot - Mutter, Freundin, Erzieherin?<br />

Als sie im Agneshaus angefangen hatte,<br />

antwortet sie, da wollte sie den Mädchen<br />

alles aus der Hand nehmen. Bis sie merkte,<br />

- 2)1999

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