19.11.2013 Aufrufe

Download Innenteil als PDF - Weibblick

Download Innenteil als PDF - Weibblick

Download Innenteil als PDF - Weibblick

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

TirtL<br />

Wir sitzen an einem der drei kleinen<br />

ßartische. Irina Panasenkos Mann wärmt<br />

Bortsc.li und Peltneni auf. Zwei Braune hätt'<br />

ich gern!, ruft es von der Theke. Der neue<br />

Gast in der farbenprächtigen Windjacke ist<br />

so gutgelaunt, <strong>als</strong> käme er geradewegs aus<br />

dem »l lally-Gally« und wollte den Abend<br />

noch irgendwie, vernünftig zuende bringen:<br />

Zwei Braune. Meisler! Der Aushilfswirt<br />

•idiaut seinen Kunden in der Windjacke hilflos<br />

an: Goldbrand? - Klar, Coldbrand! Und<br />

'ne Cola, 'ne Tute und zwei Eier. - Zwei Eier?<br />

- Logisch. Na, nicht deine. Mann! - Ach.<br />

wenn seine Frau jetzt da wäre. Die kann mit<br />

sowas umgehen. Der Repräsentant lächelt<br />

weit nach innen, voll stiller Verzweiflung,<br />

und geht daran, zwei einzelne Eier aus einer<br />

Packung zu nehmen. Die Windjacke will bersten<br />

vor Lachen: Mann, Überraschungseier<br />

mein' ick! Wo ist eigentlich die schöne Frau?<br />

- Irina Panasenkos Mann erklärt sichtlich<br />

erleichtert, daß seine schöne Frau gleich wieder<br />

da sei. Morgen schon. Künftig wird die<br />

Windjacke die zwei Braunen, die Cola und<br />

zwei Lier <strong>als</strong>o wieder bei ihr kaufen, und<br />

das ist gut so.<br />

Borisch und Pelmeni kommen. Sie schrnekken<br />

nach längst vergangenen Studenten-<br />

Somrnerri in den Sonnenblumenfeldern der<br />

Ukraine. Den Piccolo-Sekt trinken wir aus<br />

stämmigen Vitamalzglasern.<br />

Am nächsten Abend ist sie da. F.inc<br />

sehr schöne Frau, genau wie die Windjacke<br />

angekündigt halte. Schmales Gesicht, große<br />

graue Augen. Und die Wimpern so getuscht,<br />

daß es unmöglich scheint, die Augen mit<br />

solch wehrhaftem Strahlenkranz drumherum<br />

einfach mal zumachen zu können. Russinnen<br />

sind oft so geschminkt. Denn wozu der Aulwand,<br />

wenn es ja doch keiner merkt? Das<br />

kleine Zuviel <strong>als</strong> Maß des Normalen. Aber<br />

Russin ist ganz f<strong>als</strong>ch. Irina Panasenko<br />

kommt eben aus der Ukraine, aus Dnepropetrowsk.<br />

Nein, nein, ich brauche den<br />

Namen nicht aulschreiben, F.s klingt wie:<br />

Diese Stadt kennt hier sowieso keiner. Auf<br />

Dienstreise, wäre sie gewesen. In Dnepropetrowsk.<br />

(iine Dienstreise nach Hause?<br />

Irina Panasenko steht in der Mitte ihres<br />

Laden-Bistros und es scheint, <strong>als</strong> ginge ein<br />

unmerklicher Ruck durch die Reihen der<br />

Ylarmeladengläser und Matriuschkas auf<br />

der Theke: Die Chefin isl wieder da!<br />

Ursprünglich hatte Irina Panasenko gar<br />

nichts zu tun mit Salzheringen, Piroggen<br />

und russischem l lonig. Denn sie isl Physikerin.<br />

Und Logopädin. »Zwei Hochschulausbildungen,<br />

zwei Diplome. Ich mach jelzl mal<br />

Kaffee.« Als Physikerin hätte sie in einem<br />

großen Betrieb gearbeitet. Später erfahre ich,<br />

daß die großen Betriebe in Dnepropetrowsk<br />

fast alle Rüstungsbetriebe waren. Die SS 20<br />

und die SS 24 habe man dort auch gebaut.<br />

Irina Panasenko nennt diese Namen mit<br />

jenem Gleichmut, den man sehr alltäglichen<br />

Dingen gegenüber hat. Und der Alltag von<br />

Dnepropetrowsk waren nun mal die SS 20.<br />

Aber nach dem zweiten Kind wollte Irina<br />

Panasenko einen Beruf mit etwas mehr<br />

Freizeit. Also Lehrerin. Logopädin. Nein,<br />

<strong>als</strong> Logopädin hätte sie in Deutschland keine<br />

Chance, da brauche sie höchstens selber<br />

eine: »Deutsch hat ja nicht mal ein rollendes<br />

R." Das sei schon eine Enttäuschung gewesen,<br />

eine Sprache ohne anständiges R, das soviele<br />

Schüler von ihr gelernt hätten. Und plötzlich<br />

sei das f<strong>als</strong>ch. Genau wie das »ch« in »plölzlich«,<br />

das noch immer von ganz weit hinten<br />

kommt. Bliebe <strong>als</strong>o noch die Physikerin? -<br />

Irina Panasenko senkt den schweren Wimpernvorhang,<br />

um ihn wirkungsvoll wieder<br />

anzuheben: »Bei den vielen arbeitslosen<br />

Physikern in Deutschland?« Fine Frau kommt<br />

herein, hält ein kleines Mädchen an der l land,<br />

dessen Blicke unwiderruflich an einem magischen<br />

Punkt in Irina Panasenkos Vitrine haften.<br />

»Lmrnal Kirsche im Mantel bitte!« Die<br />

Kleine nimmt das Stück russischer Torte.<br />

»Kirsche im Mantel« ginge sehr gut. Und sie<br />

koche alles selber. Aber was hält sie von der<br />

»Russischen Soljanka« beim Imbiß gleich<br />

nebenan? Die großen grauen Augen der<br />

»Karavelleiix-Wirtiri füllen sich mit unaussprechlicher<br />

Verachtung. Siekoche ukrainische<br />

Soljanka, das sei etwas völlig anderes,<br />

Ebenso wie man ihre Piroggen und Pelmeni<br />

nicht nachahmen könne. )a, die Pelmini<br />

gestern wären gut gewesen gestern, bestätige<br />

ich. Hat ihr Mann die gemacht? Irina Panasenkos<br />

Gesicht verschwimmt vor Heiterkeit.<br />

Der könne doch überhaupt nicht kochen.<br />

Aber daß sie jetzt hier sei und ihren eigenen<br />

Laden habe, das wäre schon sein Verdienst.<br />

Denn er wollte dam<strong>als</strong> vor bald zehn<br />

Jahren weg aus Dnepropetrowsk, weg aus<br />

der gerade noch existierenden Sowjetunion.<br />

So bestimmt, wie man nur selten etwas will,<br />

Und je mehr man es will, desto schwerer<br />

läßt es sich begründen. Vor diesem Wollen<br />

hat Irina Panasenko schließlich kapituliert.<br />

Das Argument des Bleibens: Man geht doch<br />

nicht einfach so weg! - es ist immer und<br />

überall dasselbe - war nicht mehr stark<br />

genug: Willst du in ein Land, dessen Sprache<br />

du nicht sprichst? In ein Land ohne rollende<br />

Rs und goldenen Zwiebeln auf den Kirchen?<br />

Ja, er wollte nach Deutschland. Das große<br />

>•[« (für Jude) unter der Rubiik »Nationalität«<br />

öffnete ihnen den Weg. Dam<strong>als</strong> war Anton,<br />

der ältere Sohn, zehn Jahre, Nikolai war fünf,<br />

l ieute, genauer seit einem Monal, sagt Irina<br />

Panasenko, weiß sie, daß ihr Mann recht hatte.<br />

Denn sie kommt gerade aus Dnepropetrowsk.<br />

Ist es denn so schlimm dort? »Wenn ich<br />

sagen würde -schlimm« - ich hätte nichts<br />

gesagt.«<br />

Sie war bei ihren alten Freunden, die fast<br />

ein Jahr lang keinen Lohn mehr bekommen,<br />

Die manchmal seit zwei Jahren schon keine<br />

Miete mehr zahlen und Strom ohnehin nicht<br />

mehr. Das Sei Chaos, Untergang. Manch einer<br />

erhält noch eine Pauschalriotsumme vom<br />

Betrieb anstelle des aussiehenden Lohns -<br />

ihre Freundin hat so 30 Grivna im Monat, das<br />

sind etwas mehr <strong>als</strong> siebzig Mark - andere<br />

haben nicht einmal das.<br />

Eine junge Frau mit Lederjacke und<br />

großem Geldschein in der Hand grüßt Irina<br />

Panasenko wie eine alte Freundin und will<br />

den Schein kleiner haben. Für Zigaretten,<br />

Fs scheint dringend zu sein. Irina Panasenko<br />

schaut sie ein wenig mißbilligend an. Der<br />

Blick kommt zurück: »Du rauchst doch<br />

auch!« - »Natürlich rauche ich!«, antwortet<br />

die Chefin der »Karavelle«. <strong>als</strong> handele es<br />

sich dabei um eine Frage der Ehre. Ein paar<br />

Kontinuitäten im Leben sollte es schon<br />

geben. Alles andere ist manchmal so schnell<br />

vorbei. Heimatzum Beispiel. Und Freunde.<br />

Das Gute ist, daß man immer neue findet.<br />

Ja, sie habe wieder viele Freunde. Berliner<br />

Russen und auch viele Deutsche. Die neuen<br />

Freunde müsse man aber anders trösten <strong>als</strong><br />

die in Dnepropetrowsk. Vor allem die, die<br />

keine Arbeit haben; Irina, ich halt das nicht<br />

mehr aus, dieses Zuhausebleibenniüssen!<br />

Irina Panasenko kennt das Gefühl. Deshalb<br />

ist sie so stolz auf ihren Laden. »Ich habe für<br />

mich einen Arbeitsplatz gebaut!« Begonnen<br />

hat alles damit, daß sie eine Frau kennenlernte,<br />

die hier arbeitete. Dann machte sie<br />

das auch und 1996 hat sie die »Karavelle«<br />

übernommen.<br />

11999 -'l

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!