Download Innenteil als PDF - Weibblick
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TITEL<br />
ist langst überholt. Heute gibt es Klobürsten,<br />
Faxpapier, eine Menge neuer Restaurants und<br />
Läden. Was aber bleibt ist die Beziehung zu<br />
den Menschen, zu den Frauen, die ich traf.<br />
Manche, zunächst rein berufliche Begegnung,<br />
führte häufig zu persönlicher Betroffenheit<br />
und der meist offenen Frage, wie sie es wohl<br />
schaffen, immer wieder ihre oft mißliche<br />
Lage /u meistern und Wege /um Überleben<br />
zu finden, Es ist ein Paradox, das für Fremde<br />
unlösbar scheint, auch dort in der Schule 270,<br />
einem der Plattenbauten, wie sie für die<br />
Randbezirkc von Kiew typisch sind.<br />
Zufallig Stoffe ich auf die F;rauen, deren<br />
Stimmen grell durch die Küchen t ür dringen.<br />
Die Organisationschefin und die Gastgeber<br />
werfen sich ärgerliche Blicke zu. Fs war nicht<br />
abgemacht, in der Küche derartig lustig zu<br />
sein. Schließlich waren die Frauen zum<br />
Kochen engagiert, dafür, etwas auf den Tisch<br />
zu bringen. Aber während die Gäste essen,<br />
erlauben sich auch die Köchinnen ihre Feier.<br />
Erneut schwillt der Gesang ukrainischer<br />
Volkslieder an. Was geht dort vor? Ich schiebe<br />
vorsichtig die Schwingtüre auf. Acht weibliche<br />
Körper, von denen mit Sicherheit die Hälfte<br />
die Zwei-Zentner-Grenze überschritten hat,<br />
geben in Hausschuhen, mit speckigen Kittelschürzen<br />
und fettigen Haaren unverhohlen<br />
ihrer Lebensfreude Ausdruck. Daß sie von<br />
einer westlichen )ournalistiri angesprochen<br />
werden, empfinden sie fast wie einen politischen<br />
Akt. auf alle Fälle aber <strong>als</strong> ein Zeichen<br />
der Verbundenheit mit ihrem »Land am<br />
Rande«, wie die Ukraine wörtlich übersetzt<br />
heißt. Sie sind dankbar, daß eine deutsche<br />
Zeitung veröffentlichen will, was sie denken:<br />
Daß die Ukraine ein gastfreundliches Land<br />
ist. daß beleibte Menschen immer lustig<br />
sind, und daß Fremde, vor allem die Deutschen<br />
in der ehemaligen Kornkammer Furopas<br />
immer gern gesehen werden.<br />
Nicht alle Frauen leben so unbeschwert<br />
wie die wohlbeleibten Köchinnen in der<br />
Schule 270, wo es bei entsprechenden Anlässen<br />
alles gibt, und wo sie für ihre Arbeit<br />
auch bezahlt werden. Die Masse erhält oft<br />
monatelang keinen Lohn. Auf ihre Männer,<br />
denen es meist genauso geht, können sie<br />
auch nicht /ählcn. Diese Frauen suchen<br />
ihren Ausweg im Geschäft auf der Straße.<br />
Alte Mütterchen verkaufen auf den Basaren<br />
alle möglichen Utensilien, die sie aus dem<br />
Haushall oder von persönlichen Dingen erübrigen<br />
können. Armselig stehen sie da, ein<br />
Sieb in der Hand, das Kunden anlocken soll.<br />
Auf dem Roden liegt eine alte Armatur, daneben<br />
ein gufseisernes Bügeleisen, abgetragene<br />
Kleidung, Aliiminiumgeschirr und vieles<br />
andere, was in Deutschland im Mülleimer<br />
landen würde. Wer keine Ware anbieten kann.<br />
versucht es mit kleinen Dienstleistungen,<br />
wie die Rentnerin im Gidropark neben der<br />
Dnjeprbrücke. Der Park mit seinen weit<br />
verzweigten Wegen und Nebenarmen des<br />
Dnjepr ist ein beliebtes Ausflugsziel für die<br />
Kiewer Bevölkerung. Vor allern sonntags<br />
kann die alte Frau dort mit Einnahmen der<br />
Vorübergeilenden rechnen. Sie hat eine<br />
Waage dabei und für zwanzig Kopeki. das<br />
sind etwa 10 Pfennige.dürfen die Ausflügler<br />
ihr Gewicht prüfen oder für den gleichen<br />
Preis die Kraft im Arm. Die Frau an der Ecke<br />
ist Invalidin zweiten Grades und hatte drei<br />
Schlaganfälle. »Mir reicht die Pension von<br />
80 Hrywna nicht«, klagt sie, umgerechnet<br />
sind das etwa 40 Mark. Deshalb müsse sie<br />
einfach sehen, wie sie zu Geld komme.<br />
Die ständige Anspannung hat Folgen.<br />
Frauen, die gerade erst 40 Jahre alt sind,<br />
sehen häufig aus wie Sechzig. Vor allem auf<br />
dem Land, wo sie überdurchschnittlich hart<br />
arbeiten, sind ihnen die Spuren der Zeit ins<br />
Gesicht gefurcht. Die Perestroika habe ihr<br />
Leben aus dem Gleichgewicht gebracht,<br />
schimpfen einige Alte in Kanew, die am Ufer<br />
des Dnjepr von den Touristen leben. Während<br />
sie ihrem Unmut über die Politik und die<br />
schlechte Wirtschaftslage Luft machen, flattern<br />
ihre bunten Kopftücher lustig im Wind.<br />
Auch sie sehen nicht so aus, <strong>als</strong> würden sie<br />
am Hungertuch nagen. Fs ist das bekannte<br />
Kunststück in der Ukraine. Trotz Wirtschaftskrise<br />
gibt es immer zu Essen, sitzen Gäste<br />
am vollgedeckten Tisch, wobei das Jammern<br />
der Gastgeber über die schwierige Situation<br />
ständige Begleitmusik ist.<br />
Immer wieder habe ich mich den vielfältigen<br />
Erfahrungen in der Ukraine ausgesetzt,<br />
wollte das fremde l .eben hautnah und an der<br />
Basis selbst spüren. Ich arbeite unter primitiven<br />
Bedingungen, lebe in Kiew in einer<br />
düsteren 2-Zimmer-Wohnung, die ich durch<br />
einen übelriechenden, dreckigen Hausflur,<br />
oft von Hunden belästigt, erreiche. An den<br />
Wänden hängen traditionsgemäß Teppiche.<br />
In Küche und Bad sind Ameisen ständige<br />
Gäste. Die dunkelbraunen Schleiflackmöbel<br />
im Stil der 5oer jähre sind abgewetzt. Nur<br />
Fax und Telefon verbinden mich mit der<br />
westlichen Welt, vorausgesetzt ich gewinne<br />
gegen die schlechten Verbindungen. Vielen,<br />
die mit der ganzen Familie auf gleichem<br />
Raum auskommen müssen, erscheint diese<br />
Wohnung, die ich seit fünf fahren gemietet<br />
habe, <strong>als</strong> absoluter Luxus. Denn ich lebe dort<br />
allein.<br />
,6 2I'999