Download Innenteil als PDF - Weibblick
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TITEL<br />
1 ,,,<br />
o<br />
Text: Barbara Kerneck<br />
Fotos: Petra Prochäzkovä<br />
»Ganz oder gar nicht« hieß einer<br />
der erfolgreichsten Kinofilme der<br />
Neunziger über eine Männerstripgruppe,<br />
besetzt mit rauhbeinigen<br />
Arbeitslosen aus der nordenglischen<br />
Provinz. Moskau zählt zwar<br />
nicht zum unterentwickelten, russischen<br />
Hinterland, aber Arbeit zu<br />
finden, ist auch dort ein Kunststück.<br />
Ganz oder gar nicht haben<br />
sich daher auch die »Golden Boys«<br />
gedacht: Rußlands erste Stripper<br />
sind hin- und hergerissen zwischen<br />
ihren Zuschauerinnen, Freundinnen<br />
und Müttern.<br />
Vor zwei Minuten hat der gutgebaute<br />
Mann Irina auf die enge Tanzfläche des<br />
Moskauer Nachtklubs Up & Down gezogen,<br />
und schon grapscht seine Hand nach ihrer<br />
Brust - leicht und doch irgendwie demonstrativ.<br />
Irina (38) fühlt sich weder belästigt<br />
noch überrascht. Der Mann ist für sie zwar<br />
ein Fremder, aber sie weiß ihn einzuordnen.<br />
Im Up & Down ist heute der allwöchentliche<br />
»Frauentag«. Und das bedeutet: Auftritt der<br />
mannlichen Strippergruppe »Golden Boys«<br />
und weibliches Publikum in der Überzahl.<br />
Irmas Tanzpartner und seine vier Kollegen<br />
haben sich eben erst - nicht ganz synchron<br />
und etwas tolpatschig - auf einer kleinen<br />
Bühne zu orientalischen Klangen aus Phantasie-Beduinentrachten<br />
geschält. Jetzt trägt<br />
er nur noch einen Slip. Die »Boys« sind<br />
Moskaus neuester Hit. Zwischen ihren Auf-<br />
Iritten sind sie angehalten, ihre Zuschauerinnen<br />
zu animieren - in jeder Hinsicht.<br />
Der blonde Mann, der mit Irina tanzt, ist<br />
zweiundzwanzig. Er wird von seinen Kollegen<br />
»Woltschonok« genannt: »kleiner Wolf«. Irina<br />
klebt an ihm, ihr Knie geht auf Erkundungsfahrt<br />
in seinem Schritt. Nur der Griff dorthin<br />
ist tabu - dies wird der Moderator zu Beginn<br />
jeder Show nicht müde zu betonen, in der<br />
Regel halten sich die Frauen daran. Aber um<br />
Woltschonok an allen anderen Stellen zu betasten,<br />
strecken sich schon ein Dutzend Hände<br />
aus dem Publikum. Irinas Finger fahren in<br />
den Bund seines G-Strings - mit einem<br />
Fünfzigdollarschein.<br />
Die ärmsten Frauen sind es nicht, die<br />
hierher kommen. Der Eintritt kostet 350 Rubel<br />
(24 DM). Nicht mehr bezieht so manche<br />
Babuschka in der Provinz <strong>als</strong> Monatsrente.<br />
Die Golden Boys selbst charakterisieren ihre<br />
weiblichen Fans so: »Das sind entweder die<br />
Ehefrauen von den Neuen Russen, die vor<br />
Langweile zu Hause verrückt werden, während<br />
ihr Mann Geld scheffelt - manche von<br />
ihnen beschwatzen ihren Gatten, ihnen<br />
einen Auftritt von uns auf ihrer Geburtstagsparty<br />
zu schenken. Und dann sind da die<br />
gutverdienenden Geschäftsfrauen, die sich<br />
nach Feierabend in einer sexy Atmosphäre<br />
erholen wollen. Unser Auftritt bildet für sie<br />
eher eine Kulisse«.<br />
Am S. März, dem internationalen »Frauentag«,<br />
hatte die Leitung des Up & Down dieses<br />
Wort buchstäblich genommen und männlichem<br />
Publikum den Zulritt gänzlich verwehrt.<br />
Bei dieser Gelegenheit fanden sich<br />
auch Zuschauerinnen ein, die sich das Spektakel<br />
sonst nicht leisten. Ihre Neugierde ließen<br />
sie an den Boy-Leibern gründlich aus: »Dam<strong>als</strong><br />
hatten wir Angst, aufgefressen '/,u werden«,<br />
erzählen die Stripper. Ob sie ihre An-Hangerinnen<br />
deshalb verachten?<br />
»Keineswegs!«, sagl Sascha Gerassiinow<br />
(24). Er erblickt in seiner Tätigkeit die Mission<br />
eines barmherzigen Bruders: »Manchen Frauen<br />
sehe ich es bereits von der Bühne aus an, daß<br />
sie mich brauchen«, sagt er: »Während ich<br />
zu ihnen gehe, bin ich schon ein bifschen in<br />
sie verliebt. Ich freue mich, wenn ich diesen<br />
Frauen ein wenig Freude spenden kann, denn<br />
davon haben sie in unserem bedrückenden<br />
Alltag nicht allzuviel«.<br />
lieber Stripper <strong>als</strong> Kriegci<br />
Das allzugute Leben kann es nicht gewesen<br />
sein, wovor diese [ungs in den Beruf des<br />
Strippers flohen. Noch vor zehn fahren wäre<br />
diese Tätigkeit für einen Russen undenkbar<br />
gewesen. Für die Boys ist sie heute eine normale<br />
Überlebensstrategie, insgesamt zehn<br />
Männer arbeiten auf den Bühnen verschiedener<br />
Nachtklubs in zwei Schichten, jeweils zu<br />
fünft. Auf mehr <strong>als</strong> die 4000 Rubel (ca. 205<br />
DM|, die jeder von ihnen monatlich erhält,<br />
könnten sie heute kaum rechnen. Aber dazu<br />
kommen an guten Tagen noch die Dollar-<br />
Trinkgelder von den Zuschauerinnen.<br />
Fast all diese Jungs kommen aus der<br />
Provinz, manche frisch vom Militär. Sie entgingen<br />
dem Schicksal, an einer der vielen<br />
Bürgerkriegs fronten des postsowjetischen<br />
Raumes <strong>als</strong> Kanonenfutter verheizt zu werden.<br />
Michajl Anissimow, Manager und Erfinder<br />
der Truppe, erhielt an einem einzigen Tag<br />
über 1200 Anrufe, nachdem er vor einem<br />
fahr die Anzeige in die Zeitung gesetzt hatte,<br />
mit der alles begann: »Suche junge Männer<br />
<strong>als</strong> Tänzer für erotisches Theater«. Dam<strong>als</strong><br />
meldete sich auch Sascha Gerassimow. Er ist<br />
der einzige Moskauer und der Selbstsicherste<br />
unter den Golden Boys. Nach zwei Jahren<br />
Militärakademie trainierte er 1995 Rekruten<br />
für den Einsatz in Tschetschenien. »Sie taten<br />
mir leid«, erinnert er sich: „Die Kommandeure<br />
wollten uns gulausgebildete Soldaten<br />
nicht opfern. Deshalb wurden die Unerfahrensten<br />
dorthin geschickt - und sie wußten<br />
weshalb«. Jetzt studiert Sascha nebenher an<br />
der Moskauer Hochschule für Luftfahrt -<br />
keine leichte Aufgabe angesichts eines Golden<br />
Boy-Arbeitspensums von zwölf Stunden täglich.<br />
Manager Anissimow besteht auf intensiver<br />
Arbeit mit dem Choreographen und<br />
Schauspielunterricht für alle.<br />
Anderntags übt der Schauspiellehrer Juri<br />
Andrannik mit Badur aus Afghanistan, wie<br />
man dem Professor mitten im Universitätsexamcn<br />
ein Schmiergeld zusteckt. Die zuschauenden<br />
Golden Boys lachen. Andrannik<br />
ist für sie mehr <strong>als</strong> ein Pädagoge. Er versucht,<br />
sie spielerisch vorzubereiten. Nicht nur auf<br />
2)1999