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„Das sind keine Bands,<br />
sondern arme Schweine...“<br />
Sami Mark Yahya hatte mit Faderhead immer eine recht hohe Veröffentlichungsfrequenz, doch in den letzten beiden Jahren setzte er<br />
dem Ganzen die Krone auf: Zunächst The World Of Faderhead und nun FH4, dazwischen auch gleich noch die Doppel-„Best Of“ Two<br />
Sides To Every Story. Entweder braucht dieser Mann keinen Schlaf, oder er produziert seine Lieder seit Langem abrufbereit auf Halde...<br />
Sami Mark Yahya: Bis auf wenige Phasen<br />
schreibe ich eigentlich ständig Songs; selbst wenn<br />
ich nicht im Studio bin, halte ich Songideen<br />
oder Textzeilen immer wieder fest. Ich verwende<br />
allerdings sehr selten alte Songs, die schon ewig<br />
herumliegen. Vor einer Produktion höre ich mir<br />
einfach alle Demos an, die ich seit dem letzten<br />
Album aufgenommen habe, und entscheide mich<br />
dann, welche Songs auf das Album passen. Bei<br />
Platten wie Black Friday, bei denen es ein Konzept<br />
und eine Story gab, war das anders. Da habe ich<br />
nur an den 16 Songs geschrieben, die am Ende<br />
auch tatsächlich auf dem Album erschienen sind.<br />
<strong>Orkus</strong>: Darf man beim Titel des neuen Werkes<br />
eine bewusste stilistische Anknüpfung an die FH-<br />
Reihe vermuten?<br />
SMY: Black Friday war ein Konzeptalbum, The<br />
World Of Faderhead war ein Album mit Songs, die<br />
mein Leben beschrieben, und FH4 ist jetzt wieder<br />
– wie früher – einfach drauflosgeschrieben. Ohne<br />
Rahmen, Geschichte oder Konzept. Es gab zwar<br />
auch da Songs, die miteinander verknüpft waren,<br />
aber insgesamt habe ich einfach geschrieben, ohne<br />
mich um Zusammenhänge zu kümmern. Das war<br />
beim neuen Album wieder so, und deswegen war<br />
es für mich naheliegend, die Platte FH4 zu nennen.<br />
O: FH4 ist sehr modern und technoid geraten.<br />
Wann sehen wir dich in der „Raveline“?<br />
SMY: Eigentlich finde ich das Album total<br />
untechnoid, eher poppig und soft. „Modern“ trifft<br />
allerdings sicherlich zu. In der „Raveline“ würde ich<br />
natürlich auch gern stattfinden. Vielleicht sollte ich<br />
da mal anrufen und eine CD hinschicken. (lacht)<br />
O: Dafür wurden die Aggrotech-Elemente ein<br />
wenig eingedampft. Inwiefern sind diese für dich<br />
lediglich Stilmittel oder eher Ausdruck deines<br />
aktuellen Gemütszustandes?<br />
SMY: Ich bin ja ursprünglich nicht aus dem<br />
Elektronik-Sektor, daher war in den ersten<br />
Jahren alles neu, und deshalb auch der Anteil<br />
an Aggrotech-Elementen. Stilmittel sind bei<br />
Faderhead allerdings immer Ausdruck meines<br />
Gemütszustands, da bei mir auf einem Album<br />
vier bis fünf verschiedene Stilistiken zu finden<br />
sind. Das beruht darauf, dass ich mir einfach nicht<br />
vorstellen kann, eine fragile Emotion mit einem<br />
harten Dark Electro-Beat und verzerrtem Geschrei<br />
auszudrücken. Die Songs auf FH4 sind aber<br />
tatsächlich ein wildes Sammelsurium der besten<br />
Tracks, die ich nach März 2012 geschrieben<br />
habe. Ich denke daher nicht, dass sie ein klarer<br />
Ausdruck meines Gemütszustands sind. Vielleicht<br />
waren die heftigeren Songs am Ende einfach nur<br />
nicht gut genug. Hinzu kommt, dass mir keiner<br />
erzählen kann, dass er ein Jahr lang immer nur<br />
böse oder traurig ist.<br />
O: Auf FH4 gibt es eine Menge zu entdecken,<br />
und so langsam erwartet man von dir sogar ein<br />
bisschen mehr als bloß Tanzmusik. Ist das okay<br />
für dich?<br />
SMY: Es ist mir immer schon wichtig gewesen,<br />
nicht nur auf Tanzmusik festgelegt zu werden.<br />
Dann hätte ich nur einen Song geschrieben, den<br />
auf jeder Platte zwölf Mal mit anderem Titel und<br />
anderem Filmsample kopiert und mich Y-RY<br />
genannt. Und Bands, die festlegen, in welche<br />
Richtung sie gehen, sind keine Bands, sondern<br />
arme Schweine, da sie ihre künstlerische Freiheit<br />
verlieren. Das kann ich noch verstehen, wenn<br />
man in einer Karnevalsband spielt, um Geld<br />
zu verdienen, aber nicht, wenn man in einem<br />
alternativeren Musikgenre existiert, in dem<br />
sowieso kaum Geld gemacht wird.<br />
O: Mit Dancers fällt ein Stück mal wieder<br />
besonders aus dem Rahmen. Wie viel Spaß macht<br />
es dir, Genregrenzen einfach zu ignorieren? Und<br />
wie kam es zur Zusammenarbeit mit Shawn<br />
Mierez?<br />
SMY: Das hat mir schon immer Spaß gemacht.<br />
Sei es mit Mattaku auf FH1, mit Dirtygrrrls/<br />
Dirtybois auf FH2, mit Fuck What You Heard auf<br />
FH3, mit der kompletten Horizon Born-EP, mit<br />
Pussy Rules auf Black Friday oder jetzt mit Dancers.<br />
Das ist eigentlich nie Absicht, aber es ist mir halt<br />
auch egal. Ich habe keine Angst davor, dass mich<br />
irgendein 45-jähriger Old School-EBM-Fan oder<br />
ein 16-jähriger Cybergoth für „untrue“ hält.<br />
Shawn kenne ich seit 2005. Ich hatte Dancers<br />
selbst eingesungen und war davon nicht so<br />
überzeugt, also habe ich Shawn angerufen und<br />
ihn gefragt, ob er nicht mal kurz rumkommen<br />
und das für mich einbrüllen könnte. Shawn ist<br />
einer der legendärsten Techno-MCs aller Zeiten,<br />
hat keine fünf Minuten für alles gebraucht, und es<br />
klang auch noch sofort super. Da war dann klar,<br />
dass ich meine Vocals lösche und das Ganze zu<br />
einem Feature mache.<br />
O: Wenn man sich anschaut, auf welchem Platz<br />
The World Of Faderhead bei einem britischen<br />
Onlinehändler gelandet ist, fragt man sich, was<br />
dir diese Verkaufszahlen bedeuten?<br />
SMY: Das erfüllt mich auf jeden Fall mit<br />
Genugtuung. Vor allem, wenn man weiß, dass<br />
MusicNonStop in Großbritannien der wichtigste<br />
Händler ist. Und da ist es schon ziemlich cool,<br />
dieselben Verkaufszahlen wie And One zu haben<br />
und mehr zu verkaufen als Fields of the Nephilim,<br />
De/Vision, Front Line Assembly oder Suicide<br />
Commando. Allesamt Bands, die in Deutschland<br />
deutlich mehr Fans haben. Ich brauche das zwar<br />
nicht, aber es ist eine Anerkennung dafür, dass ich<br />
seit Jahren immer mehr für meine Fans mache als<br />
99 Prozent aller anderen Bands... und das Mehr<br />
dann auch immer noch umsonst ist – sei es der<br />
Kurzfilm zu Black Friday oder die 360-Grad-<br />
Panoramen für The World Of Faderhead.<br />
O: Fühlt man sich bei dem Erfolg, gerade auch in<br />
den USA, nicht manchmal wie der sprichwörtliche<br />
Prophet im eigenen Land?<br />
SMY: Man sieht ja bei Festivalshows, dass wir<br />
fast immer das größte Publikum des Tages haben.<br />
Es gibt also genug Leute, die meine Musik gut<br />
finden. Man darf aber auch nicht vergessen,<br />
dass ich immer noch „neu“ bin. Und wenn wir<br />
in Nürnberg oder Bochum 700 Leute bei einem<br />
Konzert haben, kann ich damit aktuell ziemlich<br />
gut leben. Bands wie Suicide Commando und<br />
And One gibt es bereits über 20 Jahre, und sie sind<br />
gewachsen in Zeiten, als Menschen noch Musik<br />
bewusst gehört haben. Von daher ist es doch nur<br />
natürlich, dass sie deutlich mehr Fans haben. Am<br />
Ende würde ich auch Musik machen, wenn ich<br />
keine Fans hätte. Je schneller man zudem populär<br />
ist, desto schneller verschwindet man auch wieder<br />
von der Bildfläche.<br />
www.faderhead.com<br />
Lars Schubert<br />
Discographie (Alben):<br />
FH1 (2006)<br />
FH2 (2007)<br />
FH3 (2008)<br />
Black Friday (2010)<br />
The World Of Faderhead (2012)<br />
FH4 (2013)<br />
40 - <strong>Orkus</strong>!