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Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der ...

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verlocken zwanzig-, dreißigtausend Menschen, eine Startnummer<br />

ans Trikot zu heften. Läufer o<strong>der</strong> Skater, die Woche<br />

für Woche trainieren, viele unorganisiert, jedenfalls nicht im<br />

Verein geb<strong>und</strong>en. Tausende Radfahrer messen sich landauf<br />

landab beim so genannten Radwan<strong>der</strong>n, was in <strong>der</strong> Praxis<br />

nichts an<strong>der</strong>es ist als ein Rennen unter (überwiegend) reinen<br />

Amateuren, Menschen, die lieben, was sie tun. In den vergangenen<br />

Jahren sind soviel Segelfans ins eigene Boot<br />

geklettert, dass man von einer deutschen Armada sprechen<br />

kann. Subkulturen, flankiert von Magazinen, berichten von<br />

Sportarten o<strong>der</strong> skurrilen Variationen, die <strong>der</strong> geneigte<br />

Fernsehzuschauer gar nicht zu sehen bekommt. Aber durchaus<br />

sehenswert sind, weil sie Artistik, Bewegungstalent <strong>und</strong><br />

Mut kombinieren. Diese wohl einmalige Sportkultur zeugt<br />

von den <strong>Deutschen</strong> als Aktivisten. Vermutlich haben sie<br />

keine Zeit o<strong>der</strong> keine Lust mehr, sich sonntags einen Dreispringer<br />

o<strong>der</strong> Rodler anzuschauen.<br />

Bayers Rückzug von <strong>der</strong> Spitzensportför<strong>der</strong>ung außerhalb<br />

<strong>des</strong> Fußballs ist vielleicht auch eine Reaktion auf diese Entwicklung.<br />

Auf die Frage, wie relevant die Kernsportarten<br />

noch sind. Braucht man einen Stabhochspringer, um ein<br />

Kulturgut zu retten? Eine Sportkrise steht <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik<br />

angesichts <strong>der</strong> tief verwurzelten Bewegungsleidenschaft von<br />

A (wie dem skurrilen Arschbomben-Springen) bis Z (wie dem<br />

atemraubenden Zehnkampf) nicht bevor. Vielleicht aber ein<br />

einschneiden<strong>der</strong> Wandel, noch beschleunigt durch die Aufklärung.<br />

O<strong>der</strong> sollte es nur im Radsport Doping geben? Das<br />

Treiben <strong>der</strong> Triathleten, in <strong>der</strong> Leichtathletik, im Fußball, in<br />

den Wintersportarten von Bobfahren über Biathlon, Ski-<br />

Langlauf bis hin zum Eisschnelllauf funktioniert nach den<br />

gleichen Prinzipen. Wo es ans Limit geht, werden Grenzen<br />

überschritten. Wie bei <strong>der</strong> Tour de France müssten ARD <strong>und</strong><br />

ZDF also aussteigen aus einem ihrer Wintermärchen, falls<br />

Jäger auf Ski zu Recht ins Fadenkreuz <strong>der</strong> Fahn<strong>der</strong> geraten.<br />

Werden die Sen<strong>der</strong> bei den Sommerspielen in Peking nicht<br />

abschalten müssen, falls sich <strong>der</strong> Sprint <strong>der</strong> Männer <strong>und</strong><br />

Frauen gleichzeitig als inoffizielle Weltmeisterschaft <strong>der</strong><br />

neuen Anabolika-Generation (Sarms) erweist?<br />

Lug <strong>und</strong> Betrug von Sportlern, Betreuern, Ärzten <strong>und</strong> Funktionären,<br />

über Jahrzehnte <strong>und</strong> trotz aller Skandale immer<br />

wie<strong>der</strong> fortgesetzt, haben das Ansehen <strong>des</strong> Spitzensports so<br />

stark beschädigt, dass es effektiver scheint, auf Kultursponsoring<br />

zu setzen. Umfragen bestätigen jedenfalls einen<br />

Meinungsumschwung in <strong>der</strong> Bevölkerung, vor allem eine<br />

Verallgemeinerung <strong>des</strong> Dopingphänomens. Demnach ist <strong>der</strong><br />

Spitzensport unterschwellig ein Spritzensport, in jedem Fall<br />

aber nicht mehr gut vorzeigbar. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist<br />

es kein großer Schritt mehr, die Bun<strong>des</strong>för<strong>der</strong>ung für den<br />

organisierten Spitzensports zu hinterfragen. Weil man dem<br />

Steuerzahler nicht mehr vermitteln kann, Staatsamateure im<br />

Namen <strong>des</strong> Volkes in die Arena zu schicken, von <strong>der</strong>en Sauberkeit<br />

niemand überzeugt sein kann - o<strong>der</strong> darf?<br />

Die wesentlichen För<strong>der</strong>er einer goldwerten Ausbeute bei<br />

Winterspielen sind bislang neben dem Innenministerium die<br />

Bun<strong>des</strong>wehr <strong>und</strong> die Polizei. Sie müssten sich wohl zurückziehen,<br />

falls im nächsten Winter ein Enthüllungskapitel hier<br />

<strong>und</strong> da Dopingzwänge offenbarte. Die Bun<strong>des</strong>regierung hat<br />

sich schließlich einem dopingfreien Sport verschrieben.<br />

Übrig blieben dann Sportarten, die sich Kraft ihrer Stärke<br />

völlig unabhängig von einengenden Regelwerken bewegen:<br />

<strong>der</strong> Fußball als mächtigster Sportverband <strong>der</strong> Welt. Das<br />

Profiboxen als Privatshow ebenso wie die Formel 1. Das wäre<br />

das Ende <strong>des</strong> organisierten Sports. Deshalb ist <strong>der</strong> Rückzug<br />

von Bayer doch von weitreichen<strong>der</strong> Bedeutung. Denn Mäzene<br />

garantieren, so paradox es klingt, bis zu einem gewissen<br />

Grad auch eine gewisse Unabhängigkeit. Zumin<strong>des</strong>t in jenen<br />

Sportarten, die noch Spielraum lassen für eine duale Karriere.<br />

Es ist wohl kein Zufall, dass Dopingfälle dort seltener auftreten.<br />

Die Athleten mögen per se keine tugendhafteren Menschen<br />

sein. Aber sie haben die Freiheit, ohne Existenzverlust<br />

auszusteigen, ehe ein System den Verstoß gegen die Ethik<br />

<strong>des</strong> Sports verlangt. Diese Chance hat Bayer auch gewährt.<br />

Diese Möglichkeiten bieten Bun<strong>des</strong>wehr <strong>und</strong> Polizei. Falls<br />

Deutschland mit dem traditionellen Spitzensport als Ausweis<br />

seiner Leistungsfähigkeit werben will, dann muss es diesen<br />

Preis dafür zahlen. Und in Zukunft noch mehr.<br />

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