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Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der ...

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"Und dann hatte ich Glück,<br />

wie immer in meinem Leben.<br />

Christian Tell übernahm<br />

mein Training." Der Schlesier,<br />

<strong>der</strong> die elegante polnische<br />

Fechtschule lehrte, sagte<br />

seinem neuen Schützling<br />

schon nach einem halben<br />

Jahr voraus: "Wenn du so<br />

weiter machst, wirst du<br />

Weltmeisterin." Und das war<br />

zur Überraschung <strong>der</strong> beiden<br />

schon 1979 <strong>der</strong> Fall. Tell gab<br />

Cornelia Hanisch nicht nur<br />

2000 kostenlose Trainerst<strong>und</strong>en,<br />

son<strong>der</strong>n er sparrte auch<br />

mit ihr "im Schweiße seines Angesichts". Die Verbindung <strong>der</strong> beiden<br />

funktionierte, weil die Florett-Fechterin selbständig das umsetzte, was<br />

ihr Trainer, <strong>der</strong> kein Mann <strong>der</strong> harten Hand war, ihr nahe brachte. Er<br />

hatte ein gutes Auge <strong>und</strong> erkannte sofort ihre Fehler.<br />

"Meine Stärke war meine Aggressivität. Sie wurde aber zur Schwäche,<br />

wenn ich zu ungestüm angriff. Dann wurde ich ausrechenbar."<br />

Anfangs focht sie so, wie sie heute noch Schach spielt: "Da sehe ich<br />

überall, wo ich angreifen kann, vernachlässige aber meine Deckung."<br />

In diesem Punkt musste Christian Tell hart an ihr arbeiten, bis sich<br />

ihre Angriffslust in eine kontrollierte Strategie umgewandelt hatte.<br />

Eine weitere Stärke: "Ich konnte meine Strategie auch in entscheidenden<br />

Momenten abrufen <strong>und</strong> hatte auch die Nerven dazu." Sie ist<br />

Christian Tell sehr dankbar: "Er hat mich groß gemacht <strong>und</strong> bei ihm<br />

habe ich bis zum Ende meiner Fechterlaufbahn im Jahre 1986 trainiert.<br />

Ihr sportlicher Tiefpunkt war das Halbfinale <strong>der</strong> Weltmeisterschaft in<br />

Rom 1982: "Ich führte 7:5 gegen Sabine Bischof, gegen die ich bis<br />

dahin immer gewonnen hatte, <strong>und</strong> verlier das Ding. Aus dieser<br />

Nie<strong>der</strong>lage habe ich viel gelernt. Da habe ich gemerkt, dass Ivan Lendl<br />

Recht hatte, als er sagte: ,Wenn du den Gegner am Boden hast, musst<br />

du ihn zertreten.' Das ist grausam. Aber so ist <strong>der</strong> Leistungssport."<br />

Der absolute menschliche Tiefpunkt für Cornelia Hanisch wie für viele<br />

an<strong>der</strong>e Athleten war <strong>der</strong> Boykott <strong>der</strong> <strong>Olympischen</strong> Spiele von Moskau<br />

1980 wegen <strong>des</strong> sowjetischen Überfalls auf Afghanistan. Sie wäre<br />

dort als Favoritin an den Start gegangen <strong>und</strong> bestätigte dies mit<br />

ihrem Weltmeistertitel von 1981. Bevor es zum Boykottbeschluss <strong>des</strong><br />

NOK für Deutschland am Himmelfahrtstag 1980 kam, engagierte sich<br />

die Fechterin in <strong>der</strong> Aktion "Sportler für den Frieden". "Unser Postulat<br />

war: Wir wollen Sport treiben, wollen in Moskau an<strong>der</strong>e Athleten<br />

kennen lernen <strong>und</strong> wollen damit die Menschen zu einem besseren<br />

Miteinan<strong>der</strong> hin verän<strong>der</strong>n." Nicht nur die Hessin war enttäuscht vom<br />

Umgang <strong>der</strong> Funktionäre mit ihren Athleten: "Nur zwei Verbände<br />

haben die Sportler überhaupt nach ihrer Meinung gefragt." Drei<br />

Monate lang traf sich Cornelia Hanisch mit Gleichgesinnten. Sie<br />

schrieben sich ihren Frust in einem dicken Wälzer von <strong>der</strong> Seele, <strong>der</strong><br />

nirgendwo erschien <strong>und</strong> den sie nur einigen Studenten für ihre<br />

Examensarbeit gaben. "Gott sei Dank wirkte <strong>der</strong> Olympiaboykott als<br />

Zeitzün<strong>der</strong> für den mündigen Athleten."<br />

Die Spiele von Los Angeles 1984, die nun vom Ostblock boykottiert<br />

wurden, wirkten wie ein Balsam auf die W<strong>und</strong>en. Nach <strong>der</strong> Silberme-<br />

daille im Einzelwettbewerb gewann sie noch Gold mit <strong>der</strong> Mannschaft.<br />

Nach dem Finale sagte sie <strong>der</strong> "Süddeutschen Zeitung": "Ein<br />

Einzelsieg ist wie ein großer Kuchen, den du alleine in dich reinschaufelst.<br />

Es ist viel schöner, sich gemeinsam zu freuen." Als erfolgreichste<br />

deutsche Olympionikin kehrte sie aus Kalifornien heim. Und<br />

wollte mit diesem Ausrufezeichen ihre internationale Karriere beenden.<br />

Eher beiläufig erklärte sie sich bereit, bei <strong>der</strong> Weltmeisterschaft<br />

1985 in Barcelona im Notfall einzuspringen. Und <strong>der</strong> Notfall trat<br />

prompt ein <strong>und</strong> bescherte ihr mit zwei Titeln im Einzel <strong>und</strong> mit <strong>der</strong><br />

Mannschaft das erfolgreichste Jahr ihrer Fechter-Laufbahn. Cornelia<br />

Hanisch trat dabei so souverän, so locker auf, dass die deutschen<br />

Sportjournalisten sie zur "Sportlerin <strong>des</strong> Jahres" wählten. Ein schönes<br />

Happy End.<br />

In <strong>der</strong> Folgezeit ist ihre Verbindung zum Sport nie abgerissen. Trainerin<br />

wollte sie nicht werden. "Das wäre eine Fortsetzung meiner<br />

Karriere gewesen. Und da war ich fast an jedem Wochenende unterwegs."<br />

Sie hatte auch an<strong>der</strong>e Optionen. So schrieb sie regelmäßig im<br />

"Kicker" eine Kolumne. Auch das Fernsehen kam auf sie zu, gewann<br />

sie als Mo<strong>der</strong>atorin <strong>der</strong> beliebten Sendung "Pfiff", <strong>des</strong> "Sportstudios<br />

für Kin<strong>der</strong>", <strong>und</strong> eine Zeitlang verlas sie mittwochs die Lottozahlen. Zu<br />

Gunsten ihres Privatlebens entschied sie sich dafür, Berufsschullehrerin<br />

zu bleiben <strong>und</strong> übt ihre Tätigkeit nach wie vor gerne aus, auch<br />

wenn sie unter <strong>der</strong> beängstigenden Bürokratisierung stöhnt. Sie hilft<br />

Schülern, ihren Hauptschulabschluss nachzuholen <strong>und</strong> unterrichtet<br />

eine breite Palette von Fächern: "Informationstechnische Gr<strong>und</strong>bildung",<br />

für den Umgang mit Computern, Deutsch, Mathematik <strong>und</strong><br />

Politik sowie Wirtschafts- <strong>und</strong> Berufsk<strong>und</strong>e. Früher auch Sport, "aber<br />

da fehlt heute eine Halle".<br />

Lange Jahre war sie persönliches Mitglied im NOK. "Indem wir <strong>der</strong><br />

Fusion zum <strong>Deutschen</strong> <strong>Olympischen</strong> Sportb<strong>und</strong> zustimmten, haben wir<br />

uns ja selbst begraben", sagt sie mit leiser Wehmut. Nach wie vor ist<br />

ihre Kompetenz gefragt in verschiedenen Jurys. Sie ist Mitglied im<br />

Ausschuss Eliteschulen <strong>des</strong> DOSB <strong>und</strong> arbeitet beim Thema Olympische<br />

Erziehung in <strong>der</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Olympischen</strong> Akademie Willi Daume mit.<br />

Beim Blick auf den Sport von heute bereitet auch ihr das Doping-<br />

Problem die größte Sorge: "Fast je<strong>der</strong> schmeißt doch die Pillen rein,<br />

wenn er was hat. Die Mentalität steckt schon in den Jugendlichen<br />

drin. Und wir müssen im Sport gegensteuern. Mir macht es Angst,<br />

wenn ich lese, dass es allein 73 neue Präparate von Epo gibt, die noch<br />

gar nicht nachzuweisen sind. Das heißt, die reichen Sportler werden<br />

immer wie<strong>der</strong> an solche Mittel rankommen." Die Kommerzialisierung<br />

dagegen könne man unter Kontrolle halten: "Von <strong>der</strong> Verbindung mit<br />

dem Kommerz hat <strong>der</strong> einzelne Sportler etwas. Ich denke, es sind nur<br />

wenige Athleten, die ihren Sport wegen <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong> ausüben. Je<strong>der</strong><br />

will als Erster da stehen, je<strong>der</strong> will siegen."<br />

Cornelia Hanisch ist r<strong>und</strong>um zufrieden mit ihrem Leben. Leo, <strong>der</strong><br />

dreijährige Enkelsohn ihres Mannes, hat ihr zu Oma-Freuden verholfen.<br />

Immer wie<strong>der</strong> zieht es sie nach Italien, "in mein zweites Heimatland.<br />

Da hab' ich Fre<strong>und</strong>e. Die Leichtigkeit <strong>und</strong> das Temperament <strong>der</strong><br />

Italiener liegen mir. Da kann ich meine zweite Seele ausleben." Doch<br />

auch daheim weiß sie zu leben. "Ein richtig schöner Tag sieht so aus:<br />

Morgens lese ich meine F.A.Z. <strong>und</strong> die Offenbach-Post, dann treibe ich<br />

Sport, Krafttraining, laufen, Tennis o<strong>der</strong> Golf spielen, zwischendurch<br />

eine Tasse Cappuccino, dazu ein Stück Kuchen, dann ins Museum<br />

o<strong>der</strong> ins Theater gehen <strong>und</strong> schließlich den Tag mit einem guten<br />

Essen beschließen." Ein erfülltes Leben.<br />

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