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Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix

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Ihr Beruf verlangte dieses Verhalten und Ramis fand bald heraus, dass Lettice<br />

sich jedem Mann gegenüber so verhielt. Und sie war nicht die Einzige. Es gab noch<br />

so viele andere Frauen, die ebenso waren. Voller Abscheu starrte Ramis den<br />

ungepflegten Mann an, der jetzt einen Arm um Lettice legte. Diese lachte und<br />

schmiegte sich an ihn, während sie nach dem Türgriff langte. Zusammen<br />

verschwanden sie in Lettice Zimmer. Ramis stellte fest, dass sie zitterte. Sie war<br />

zutiefst schockiert und irgendwie auch wütend. Wieso sollten gerade die Männer<br />

das Recht haben, immer nur die besten Seiten der Frauen zu sehen und von ihnen<br />

so behandelt zu werden, als seien sie etwas Besonderes?<br />

Edward schien das alles nichts auszumachen. Unbekümmert stapfte er vor ihr die<br />

Treppe hinauf. Ramis fragte sich, ob es ihn nicht doch tief im Innersten störte, dass<br />

seine Mutter sich verkaufte und nur Zeit für ihre Kunden hatte. Aber vermutlich<br />

kannte er es gar nicht anders. Ramis und Edward gingen in ihr Zimmer. Heute<br />

Nacht war Ramis froh, den Jungen bei sich zu haben. Erstaunt stellte sie fest, dass<br />

sie seine Gesellschaft suchte. Sie kannte ihn erst seit zwei Tagen, aber zwischen<br />

hatte sich eine seltsame Verbundenheit eingestellt. Vielleicht war das so, weil sie<br />

beide einsam waren, immer Außenseiter in ihrer Umwelt. Keiner von beiden hätte<br />

je gedacht, einmal so schnell einen Freund zu finden, denn jeder hatte so seine<br />

unleidliche Art. Ramis teilte schwesterlich das Essen mit Edward, das Liam ihr<br />

mitgegeben hatte. Es war ein richtiges Festmahl für sie, die oft Hunger litten.<br />

Am nächsten Morgen äußerte sich Lettice nicht, als sie ihren Sohn und Ramis<br />

auf seinem Bett schlafen sah, die junge Frau noch sitzend, ein verkrümeltes Tuch<br />

auf dem Schoß. Der Junge musste umgekippt sein, sein Kopf war auf das Tuch<br />

gebettet und Krümel hingen in seinem Haar. Sie mussten mitten in ihrem Mahl<br />

eingeschlafen sein, wie zwei übermüdete Kinder. Lettice schien das herzlich wenig<br />

zu interessieren, sie weckte Ramis.<br />

"Was ist denn?" Verschlafen schob diese Edward von sich herunter und kam<br />

schwankend auf die Beine.<br />

"Mach dich rasch frisch", meinte Lettice nur. "Wir stellen dich jetzt Madame<br />

vor. Sieh zu, dass du ordentlich aussiehst."<br />

"Jetzt? Wie kommt es, dass du zu so einer frühen Stunde schon auf bist? Und<br />

können wir diese...Madame zu dieser Zeit stören?"<br />

"Die Gelegenheit könnte nicht günstiger sein. Falls du es noch nicht gemerkt<br />

hast, es ist fast Mittag und Madame dürfte heute recht zufrieden sein, denn sie hat<br />

gestern ein gutes Geschäft gemacht", erwiderte Lettice trocken.<br />

Verwirrt lief Ramis zum Fenster.<br />

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