Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix
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zaudern. Es gab keinen Ausweg mehr. Sie schob sich halb aus dem Fenster. Nur<br />
nicht nach unten schauen. Sie tat es doch.<br />
Unten stand der Gärtner und blickte hoch. Er musste da schon eine ganze Weile<br />
gestanden haben, aber er sagte nichts, rief auch nichts, um sie abzuhalten. Jetzt<br />
musste sie handeln. Doch sie konnte einfach nicht, nicht solange er dastand und<br />
nichts tat. Vielleicht würde der Boden auch gar nicht hart genug sein und sie nur<br />
verletzen, aufgeweicht vom Regen... Schweren Herzens zog sie sich wieder zurück<br />
und hob das Amulett auf. Es hatte keinen Sinn. Sie hasste den Gärtner dafür, dass<br />
er sie an ihre Verantwortung erinnerte. In diesem Moment hasste sie auch ihre drei<br />
Freunde, die ihr ihre Leben aufbürdeten. Sie wollte fliehen, konnte es aber nicht.<br />
In einem verzweifelten Anfall, der sich gegen sie selbst richtete, zerkratzte sie<br />
sich das Gesicht und riss an ihren Haaren. Seltsame Laute kamen ihr über die<br />
Lippen, dann rannte sie los. Sie rannte aus dem Haus, die leeren Gassen entlang,<br />
versank im Matsch, beachtete es gar nicht. Sie rannte, bis sie der Länge nach im<br />
stinkenden Schlamm landete. Eine Weile lag sie einfach so herum und schmeckte<br />
den Schmutz in ihrem Mund.<br />
Schließlich stand sie auf. Gähnende Leere erfüllte sie und ließ nur Eis zurück. Es<br />
nützte nichts, sich dagegen zu wehren. Sie sah an ihrem Körper herunter, der von<br />
oben bis unten mit Matsch beschmiert war. Oh ja, sie war besudelt, für immer und<br />
es spielte keine Rolle mehr, ob sie es noch mehr wurde. Damit opferte sie sich<br />
wenigstens noch für Martha und die anderen. Ihnen würde nichts geschehen. Sie<br />
kicherte bitter vor sich hin. Wenigstens konnte sie so bei Martha bleiben. Ohne<br />
diese Frau würde Ramis ihre Seele verlieren. Sie hielt sie fest, wenn das Nichts<br />
alles vernichtete.<br />
Das Mädchen kehrte mit leeren Augen zurück.<br />
Am Abend ging sie beinahe unbeteiligt zu Sir Edward. Der innere Kampf tobte<br />
weit weg, zerfraß ihr Wesen woanders. In den Momenten der schrecklichen<br />
Klarheit versuchte sie sich in der Leere zu verstecken, zu verdrängen, was er ihr<br />
antat. Doch am Ende gab es für sie kein Vergessen, keine Rettung, nur die<br />
immerwährende Wiederholung des Entsetzens. Irgendwann begann sie zu glauben,<br />
dass sie es verdiente, mit so viel Gewalt behandelt zu werden. Es musste doch eine<br />
Strafe sein, dass er sie all die Abende zu sich holte. Brennende Scham erfüllte sie<br />
und schottete sie nach außen hin ab, als wäre sie schuld an dem, was passierte. Sie<br />
ließ sich nichts anmerken, wurde nur immer stiller und so kam es, dass Martha gar<br />
nichts auffiel.<br />
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