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Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix

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Als das Kind nicht weiter reagierte, ging er nicht ohne Erleichterung zum<br />

Wirtshaus hinüber. Lärm, Gelächter und Biergeruch schlugen ihm entgegen, sobald<br />

er die Tür öffnete. Zufrieden gesellte er sich zu den Lebenden.<br />

Das Mädchen bemerkte kaum, dass der Mann weg war, es blieb auf dem Heu<br />

sitzen und verharrte regungslos. Es erinnerte sich an nichts, nicht mal an seinen<br />

Namen, obwohl es früher mal einen gehabt hatte. Vorher. Er war mit allem anderen<br />

gestorben. Sein Kopf war so leer wie seine Augen und seine Seele. Irgendwann<br />

schlief es ein oder wurde wieder bewusstlos, es machte keinen Unterschied.<br />

Das gleißende Licht blendete das Mädchen, denn die Sonne stand direkt über<br />

ihm. Dann nahm es wieder das Rumpeln des Karrens und die langsam<br />

vorbeiziehende Landschaft wahr. Jegliches Zeitgefühl war ihm abhanden<br />

gekommen, deshalb wusste es nicht, wie lange sie noch durch die ländliche Gegend<br />

fuhren. Schließlich begann sich die Umgebung zu verändern. Die Wiesen und<br />

Felder verschwanden, um breiten Straßen Platz zu machen und die vereinzelten<br />

Bauernhöfe wichen hohen, dicht gedrängten Häuserzeilen. Das Mädchen selbst<br />

fand keine Worte für all diese Dinge.<br />

Schon die Vororte der Stadt waren sehr groß und grau und die Gassen waren<br />

schmutzig und oftmals sehr schmal. Es herrschte ein großes Menschengedränge,<br />

überall strömten Leute verschiedenster Kleidung, Größe und Aussehens<br />

durcheinander, deren Stimmen zusammen einen solchen Lärm ergaben, dass der<br />

einzelne noch lauter schreien musste, um verstanden zu werden. Sogar durch die<br />

Betäubung des Mädchens hindurch strahlten diese Menschen eine Bedrohung aus<br />

und die schreckliche Unordnung ließ es schwindeln. Sie machten auf es den<br />

Eindruck, als wollten sie ihm Böses tun oder würden es in ihrem Strom mitreißen<br />

und übertrampeln. Das junge Mädchen drückte sich unwillkürlich enger in das Heu.<br />

Ewig lange schien die Fahrt zu dauern, die Stadt und ihre Menschenmengen<br />

nahmen kein Ende. Doch dann kam das Fuhrwerk zum Stehen und der Mann<br />

kletterte vom Kutschbock.<br />

"Du musst jetzt runter", sagte er. "Ich kann dich nicht weiter mitnehmen."<br />

Zögernd streckte er die Hand nach dem Kind aus, um es herunterzuheben. Es<br />

zuckte zurück und starrte ihn aus seinen beängstigenden Augen an. Mit einiger<br />

Überwindung versuchte er es noch einmal und stellte die Kleine auf den Boden.<br />

Sobald sie fest stand, ließ er sie los, eilte zu seinem Wagen und schwang sich<br />

hinauf. Er unterdrückte sein schlechtes Gewissen, weil er sie hier einfach absetzte<br />

und trieb dann seinen alten Karrengaul an, als würde sie ihn verfolgen. Ein letzter<br />

Blick über die Schulter sagte ihm, dass sie noch genauso dastand, wie er sie<br />

zurückgelassen hatte. Dann versperrte ihm eine Häuserecke das Blickfeld.<br />

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