Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix
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Ihre Worte klangen fest und so gar nicht, wie der Wahnsinn, der sich der jungen<br />
Frau wieder bemächtigt hatte. Ramis dachte an die Wiege, die sie liebevoll<br />
gezimmert und hergerichtet hatten, an die hübschen Spielsachen, die schon<br />
ordentlich in eine Kiste gepackt waren, für ein Baby, das sie nie bekommen würde.<br />
Es waren niedliche Puppen und Holztiere, wie die aus Afrika und Asien, die in den<br />
Zimmern von Maple House standen. Martha hatte bereits aus weichen Stoffresten<br />
Babykleidung entworfen. Ramis sah die Tränen auf den Wangen ihrer Ziehmutter,<br />
doch in ihr war zu viel Dunkelheit, als dass dort Trauer durchgedrungen wäre.<br />
"Hier hält mich nichts mehr", wisperte sie.<br />
"Doch!"<br />
Ramis blickte bei dem heftig ausgesprochenen Wort fast ein wenig überrascht<br />
auf.<br />
"Ich lasse dich nie im Leben los, Ramis. Versteh jetzt endlich, dein Kind braucht<br />
dich, da wo es ist, nicht! Gott wird für es sorgen. Dein Platz ist hier, sonst wärst du<br />
gestorben!"<br />
Martha zwang Ramis, sie anzusehen. Ramis war, als nagele Marthas Willen sie<br />
in der Welt der Lebendigen fest. Aber wie sollte sie wieder ohne ihre Seele leben?<br />
Immer wieder war sie aufgestanden und gleich wieder gestürzt. Sie hatte sich<br />
wieder verloren und dieses Mal gab es kein Zurück.<br />
Die nächsten Wochen glichen einem einzigen Alptraum. Martha war völlig<br />
verzweifelt, sie hatte keine Ahnung, wie sie dem Mädchen helfen sollte. Und sie<br />
trauerte schrecklich um den kleinen Mensch, der nicht leben durfte. Sein erster<br />
Schrei in dieser Welt war zugleich sein letzter gewesen. Vermutlich hatte das Kind<br />
sogar einige Atemzüge getan, bevor es alleine und in der Kälte verstarb. Ja, es war<br />
wohl die Kälte gewesen. Martha verschwieg diese Dinge Ramis, es hätte sie nur zu<br />
sehr geschmerzt. Martha fühlte sich so schuldig. Nie war sie da, wenn Ramis sie am<br />
Nötigsten brauchte. Wäre sie nur einige Stunden früher gekommen! Wenn sie sich<br />
nur nicht gefürchtet hätte, mitten in der Nacht zurückzugehen, als es Emily wieder<br />
besser ging! Stattdessen hatte sie dort übernachtet. Obwohl es jetzt sinnlos war,<br />
machte sie sich Vorwürfe, bis sie selbst glaubte, am Rande des Wahnsinns zu<br />
stehen.<br />
Ramis klammerte sich trotz ihres verlorenen Lebensmutes auf eine stoische Art<br />
ans Leben. Zuerst wurde sie weder kränker noch gesünder, doch bald begann ganz<br />
langsam der Genesungsvorgang. Die Kranke blieb allen ein Rätsel, denn niemand<br />
hätte ihr irgendeine Chance zugedacht. Wer die ausgezehrte Gestalt zwischen den<br />
Kissen ansah, glaubte, sie sei zerbrochen wie dünnes Glas und dem Tod geweiht.<br />
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