Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix
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scheint. Du bist ein tapferes Mädchen. Und wir zwei werden dir immer zur Seite<br />
stehen, du bist nicht allein!"<br />
Sanft streichelte sie das weiche Haar, das offen und strubblig über Ramis Rücken<br />
ausgebreitet lag, weil das Haarband verloren gegangen war. Als Ramis wieder<br />
aufblickte, waren ihre Augen trocken. Sie konnte nicht weinen, obwohl ein Chaos<br />
von Emotionen sie zu erdrücken schien. Ein einziger Laut kam aus ihrem Mund,<br />
ein grässliches Krächzen, bei dem Emily ein Schauder über den Rücken lief. Erneut<br />
war die Welt dieses Mädchens zerbrochen, während draußen die Sonne bei den<br />
anderen neues Leben erweckte und sich nicht darum kümmerte, dass Ramis in<br />
Dunkelheit versank.<br />
Vorerst brachte Ramis es nicht über sich, Martha den Brief zu geben. Es blieb<br />
einfach unmöglich für sie. Andererseits konnte sie ihre Situation immer weniger<br />
ertragen. Ihr Geist wurde zunehmend verwirrter und das fiel auch Martha auf. Als<br />
sie das Mädchen entdeckte, das ziellos durch die Gänge irrte, einen Eimer voll mit<br />
den Überresten eines Schlachttieres und dessen Blut in der Hand, den sie sicher<br />
draußen hätte ausleeren sollen, erschrak Martha. Ramis konnte nicht genau sagen,<br />
was sie eigentlich hier drinnen damit gewollt hatte. Aber sie hatte einen Schuh von<br />
Sir Edward in der Brühe versenkt. Sobald Martha versuchte, hinter dieses seltsame<br />
Verhalten zu kommen, ließ Ramis den Eimer stehen und rannte davon. Martha<br />
durchsuchte daraufhin die wenigen Habseligkeiten des Kindes und fand schließlich<br />
den Brief. Der Inhalt schockierte sie so sehr, dass sie sich auf ihr Bett setzen<br />
musste, weil ihre die Beine nachgaben. Tiefe Schuldgefühle überwältigten sie. Wie<br />
blind sie doch gewesen war! Oder hatte sie es vielmehr gar nicht wissen wollen?<br />
Ihr erster Impuls war es, zu Sir Edward zu gehen und ihm ein langes Messer in den<br />
Bauch zu stoßen. Eine blinde Wut packte sie. Dieser Unmensch durfte nicht einfach<br />
ungestraft davonkommen! Doch es war sinnlos. Das würde Ramis jetzt auch nicht<br />
mehr helfen, im Gegenteil, eine solche Tat würde sie alle umbringen. Sir Edward<br />
vor Gericht zu bringen, zog sie gar nicht erst in Erwägung. Kein Richter hätte ihn<br />
verurteilt.<br />
Allerdings konnte sie es nicht aushalten, ihr Mädchen so bleich und leblos<br />
herumsitzen zu sehen, wie es an die Wand starrte. Es war schlimm. Ramis tat den<br />
ganzen Tag nichts anderes, außer einigen Ausbrüchen, die sich gegen die ganze<br />
Welt und vor allem gegen das Kind in ihr richteten. Sie schien das heranwachsende<br />
Leben zu hassen. Einmal erwischte Martha sie sogar, wie sie versuchte, sich ein<br />
Messer in den Bauch zu bohren. Als Martha ihr die Waffe abnahm, schrie sie wie<br />
eine Wahnsinnige:<br />
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