Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix
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kennenlernte, desto mehr übersah sie seine schlechten Seiten. Für sie wurde er<br />
mehr und mehr ihr verlorenes Kind und so konnte er nur unfehlbar sein.<br />
Mit der Zeit gewöhnte Ramis sich ein wenig an das Leben in einem<br />
Freudenhaus, wenn auch eher widerwillig. Obwohl ihre Abscheu vor der Arbeit der<br />
Frauen nicht geringer wurde, wuchs in ihr dennoch allmählich mehr Verständnis<br />
für ihre 'gefallenen' Schwestern heran. Merkwürdigerweise schienen einige der<br />
Frauen hier ihren Humor und ihren Lebensmut zu bewahren. Ramis konnte sich<br />
einer gewissen Bewunderung für sie nicht erwehren. Doch es gab auch viele<br />
Frauen, vor allem ganz junge und alte, die daran verzweifelten. Erst kürzlich hatte<br />
sich eine aus ihrem Haus, noch sehr jung, vom Hausdach gestürzt. Mit dieser<br />
Verzweiflungstat setzte sie ihrem Leben ein tragisches Ende. Die Tat erregte mehr<br />
Aufsehen, als es das Leben der jungen Frau je getan hatte. Ramis wusste von ihr<br />
nur, dass sie immer schweigend in der Ecke gesessen hatte und oft waren Tränen<br />
still über ihr Gesicht geronnen. Von Tag zu Tag schien sie weniger zu werden. Wen<br />
ihr Selbstmord erstaunt hatte, der musste blind gewesen sein. Ramis hatte die Frau<br />
verstanden, aber sie hatte nie gewagt, sie anzusprechen. Sie war selbst viel zu sehr<br />
in ihrem ganz ähnlichen Kokon eingesponnen, um auf ihre Umgebung zuzugehen.<br />
Jetzt regten sich in ihr Selbstvorwürfe, denn sie kannte ihrerseits die tiefsitzende<br />
Sehnsucht nach Anteilnahme und Zuwendung. Das führte dazu, dass sie sich nur<br />
noch mehr zu verabscheuen begann, denn es zeigte ihr, wie ähnlich sie den<br />
Menschen war, die sie so verachtete. Auch sie hüllte sich in die Gleichgültigkeit,<br />
die so vielen Schutz bot.<br />
Ansonsten traf Ramis jedoch auch auf echte Kampfbereitschaft. Von einer<br />
anderen Frau erfuhr sie, dass diese ihre kranken Eltern und zwei Kinder versorgen<br />
musste und das Verkaufen ihres Körpers der einzige Weg gewesen war. Trotzdem<br />
blieb sie eine fröhliche Frau und widmete sich ihren Pflichten voller Hingabe. Sie<br />
sagte, es käme für sie nie in Frage, ihrer Familie die Unterstützung zu versagen.<br />
Von der Gesellschaft allerdings sprach auch sie voller Zorn und Bitterkeit. Sie alle<br />
kannten die Gewalt und die Demütigung, die ihnen täglich zugefügt wurde. Für sie<br />
gab es keinen Platz in der Gesellschaft. Niemand kümmerte es, wie eine<br />
Prostituierte behandelt wurde, denn es war kein anerkannter Beruf. Die oberen<br />
Schichten wollten nichts mit ihnen zu tun haben, wenn sie in der Öffentlichkeit<br />
standen. Nur in der Dunkelheit der Nacht kamen viele ihrer Männer und suchten<br />
niedrige Vergnügungen, die sie anscheinend in ihrer Welt nicht finden konnten. Die<br />
Frauen wussten, dass sie allgemein beschimpft und herabgesetzt wurden, als seien<br />
sie die Schuldigen. Es gab viele Ausdrücke für sie, doch nur wenige für die<br />
Kunden, die zu ihnen kamen. Ramis lernte zum ersten Mal das Leben von dieser<br />
Seite kennen. Nun verstand sie Marthas Verteidigung dieser Frauen. Aber trotz all<br />
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