Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix
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Ramis strich sich über die schweißbedeckte Stirn. Sie fühlte sich ausgezehrt.<br />
Langsam stemmte sie sich an der Wand hoch. Ihr schwindelte, vor ihrem Kopf<br />
verschwamm alles. Am besten legte sie sich wieder hin. Sie hatte ihr Zimmer fast<br />
erreicht, als eine scharfe Stimme sie innehalten ließ.<br />
"Ramis-Göre! Komm her!"<br />
Es war Francis. Widerwillig blieb sie stehen.<br />
"Wo steckst du eigentlich die ganze Zeit? Glaubst du, du kannst einfach<br />
faulenzen? Ich habe eine Aufgabe für dich! Da, hier ist eine Botschaft für Lord<br />
Ashby. Bring sie ganz schnell vorbei. Und trödle nicht, du hast schon genug Zeit<br />
verloren."<br />
Das war natürlich wieder reine Schikane. Es gab reichlich Laufburschen, für die<br />
diese Arbeit bestimmt war. Und sie wusste nur vage, wo der Lord wohnte. Auf<br />
schwachen Beinen machte sie sich auf den Weg. Sie kam sich vor wie eine<br />
Schlafwandlerin, als sie die grauen Straßen Londons durchwanderte. Einmal mehr<br />
überwältigte sie die Menge an Menschen und herumstreunenden Hunden und<br />
Katzen, die sich aufeinander zu bewegten, sich zu einer Einheit<br />
zusammenschlossen, um anschließend wieder auseinanderzustreben. Sie ließ sich<br />
dahintreiben wie in der Strömung eines Flusses. Das machte sie abwesend, so dass<br />
sie nicht merkte, wie sie irgendwo in eine kleinere Gasse abgedrängt wurde. In<br />
einer Traumwelt gefangen, ging sie einfach geradeaus weiter, folgte unbewusst den<br />
Biegungen des Sträßchens.<br />
Schließlich schreckte sie auf und stellte fest, dass sie sich in einem völlig<br />
unbekannten Viertel befand. Entsetzt blickte sie zu den hohen Hausfassaden hinauf,<br />
die den Himmel über ihr begrenzten. Hier war keine Menschenseele mehr und es<br />
roch feucht, die Häuserwände nahmen das Tageslicht, machten den Ort düster. Ein<br />
einzelner, räudiger Hund mit gelbbraunem Fell schlich an ihr vorüber. Seine trüben<br />
Augen beobachteten sie misstrauisch, voller Feindseligkeit. Er hatte keine guten<br />
Erfahrungen mit Menschen gemacht.<br />
"Ich verstehe dich, kleines Tier", wisperte sie leise, aber selbst dieses Flüstern<br />
hörte sich laut an.<br />
Der Hund verschwand um eine Ecke. Jetzt war sie wirklich allein in dieser<br />
gottverlassenen Gegend und hatte sich verlaufen. Sie bekam den Eindruck, eines<br />
dieser streunenden Tiere zu sein, wie sie dort ziellos durch die dunklen Gassen<br />
huschte. Nur hatten die mehr Orientierung als sie. Ramis umrundete sorgsam eine<br />
stinkende Dreckpfütze, als sie gegen jemanden stieß. Der beißende Geruch von<br />
billigem Fusel und Schweiß stieg ihr in die Nase. Sie sah hinauf in ein grinsendes<br />
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