Elin Hirvi Dunkle Häfen - BookRix
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gebracht hatte. Sie nahmen nicht das Hauptportal, sondern betraten das Haus durch<br />
den Dienstboteneingang. Auch hier war alles sauber und ordentlich. Man befand<br />
sich im Hause einer sehr einflussreichen Familie, wie es schien. Der Mann rief<br />
einen Namen, woraufhin von irgendwo gedämpftes Schimpfen ertönte. Mit lautem<br />
Poltern wurde dann eine Tür aufgerissen und im Türrahmen stand ein wahrer<br />
Drache. Knallrot im Gesicht und von so voluminösem Umfang, dass sich ihre<br />
weiße Schürze bedenklich über den gewaltigen Rundungen spannte und man um<br />
die Nähte fürchten musste, bot die Frau einen überwältigenden Anblick. Ihre Haare<br />
waren zu einer seltsamen Frisur aufgetürmt. Der Kochlöffel in ihrer Hand ließ die<br />
Vermutung zu, dass sie Köchin war. Der Mann ging zu ihr und redete auf sie ein,<br />
was Semiramis aber nicht verstehen konnte.<br />
"Was!", keifte die Frau mit überraschend tiefer Stimme los. "Du willst doch nicht<br />
etwa von mir verlangen, mich um dieses Gör zu kümmern! Such dir jemand<br />
anderen oder mach es selbst!"<br />
Ungeduldig versuchte der Mann sie trotzdem zu überreden. Der Wortwechsel<br />
war unüberhörbar und lockte allmählich sämtliche Hausangestellte an. Neugierig<br />
starrten sie Semiramis an.<br />
"Ich werde mich um sie kümmern", meldete sich nach einer Weile weiteren<br />
Gezänks eine ruhige Stimme aus der Zuschauermenge.<br />
Die Köpfe wandten sich in die betreffende Richtung. Sogar das lautstark<br />
diskutierende Paar schaute sich um. Dort stand eine schmale, eher unauffällige Frau<br />
um die vierzig Jahre. Ihr dunkles Haar war halb unter einer altmodischen Haube<br />
verborgen und sie war ordentlich-bieder gekleidet. Sie wirkte wie ein Mensch, der<br />
selten im Mittelpunkt steht.<br />
"Ich würde mich gerne um das Mädchen kümmern", wiederholte sie, als keiner<br />
etwas sagte.<br />
"Du?", fragte die Köchin in ziemlich unhöflichem Tonfall.<br />
"Wie du meinst", warf der Mann schnell ein, bevor sie es sich anders überlegen<br />
könnte. "Aber beschwer dich nachher nicht!"<br />
"Das werde ich bestimmt nicht tun", widersprach die dünne Frau mit einer Spur<br />
Schärfe in der Stimme. Dann stellte sie sich zu Semiramis und nahm sanft deren<br />
Hand. "Wie heißt sie?" fragte sie den Mann.<br />
"Semiramis, sagte man mir."<br />
"Komm mit mir, kleine Semiramis", wandte sie sich an das Kind, das sich<br />
folgsam unter den Augen der Anwesenden abführen ließ.<br />
"Viel Spaß mit dieser Leiche!", rief ihnen der Mann spöttisch nach.<br />
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