Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
STIL<br />
Kleiderordnung<br />
WARUM<br />
ich trage,<br />
WAS<br />
ich trage<br />
HATICE AKYÜN<br />
Wenn ich als Kind in die Moschee<br />
in Duisburg ging, ließ<br />
ich meine deutsche Welt draußen.<br />
Ich ging mit einem Kopftuch hinein.<br />
Es störte mich nicht, weil das Kopftuch<br />
für mich nichts Bedrohliches hatte.<br />
Meine Großmutter trug eines, meine Mutter<br />
auch. Sobald ich aber raus aus der Moschee<br />
war, zog ich es mir vom Kopf und<br />
stopfte es in meine Tasche. In der Schule<br />
trug ich es nie, das wurde auch nicht von<br />
mir verlangt. Auch meine Schwestern<br />
trugen nur in der Moschee Kopftücher.<br />
Irgendwann wollte mein Vater, dass ich<br />
mich mehr auf die Schule konzentriere.<br />
So ging ich nach der Schule nicht mehr in<br />
die Moschee, und das Kopftuch war damit<br />
auch aus meinem Leben verschwunden.<br />
Ich trage es nur noch, wenn ich Festlichkeiten<br />
in der Moschee besuche, wie<br />
religiöse Trauungen oder das Ende der<br />
Fastenzeit. Junge Frauen tragen heute ihr<br />
Kopftuch mit Stolz. Es ist einerseits ein<br />
Zeichen von Religiosität und andererseits<br />
ihr wichtigstes modisches Accessoire.<br />
Ich bin mit vier Schwestern in einer<br />
türkischen Familie in Deutschland groß<br />
geworden. In der türkischen Gesellschaft<br />
werden Mädchen sehr feminin erzogen.<br />
Wir waren immer von vielen weiblichen<br />
Verwandten umgeben. Ich wuchs mit dieser<br />
Femininität auf. Meine Schwestern<br />
und ich haben schon mit zehn Jahren gelernt,<br />
einen Kajalstift zu benutzen oder<br />
uns mit einem Faden die Augenbrauen<br />
zu zupfen. Wenn man als Mädchen mitbekommen<br />
hat, dass man seine Weiblichkeit<br />
ausleben darf, geht man als Frau im<br />
Erwachsenenalter ganz anders damit<br />
um. Als ich studierte, haben meine deutschen<br />
Freundinnen nicht besonders auf<br />
sich geachtet. Sie trugen weite T-Shirts<br />
und Schlabberhosen, während ich sehr<br />
Hatice Akyün, 45, ist eine deutsche<br />
Autorin und Journalistin.<br />
Ihr Buch „Einmal Hans mit scharfer<br />
Soße“ wurde zum Kinoereignis.<br />
Diesen Monat erscheint ihr viertes<br />
Buch „Verfluchte anatolische<br />
Berg ziegenkacke“<br />
darauf bedacht war, wie ich aussah. Da<br />
war ich natürlich mit meinen offenen<br />
Haaren und hohen Schuhen immer die<br />
Exotin. Mit meiner Kleidung lebte ich<br />
auch meine Emanzipation aus. Weiblich<br />
und selbstbewusst.<br />
Ich habe nicht viele Kleidungsstücke,<br />
aber alles, was ich besitze, jedes Paar<br />
Schuhe und jedes Kleid, kann eine Geschichte<br />
erzählen. Ich kann meinen Kleiderschrank<br />
aufmachen, ein Kleid sehen<br />
und sagen: 1997, Fifth Avenue, ich war<br />
mit diesem Mann zusammen, und es war<br />
der schönste Sommer meines Lebens. Ich<br />
habe Respekt vor meinen Kleidern, denn<br />
sie bewirken etwas, sie lösen Erinnerungen<br />
in mir aus. Für besondere Anlässe<br />
liebe ich den ganz großen Auftritt und<br />
bereite ihn strategisch vor. <strong>Das</strong> ist das<br />
Türkische an mir. Alles muss passen:<br />
<strong>Das</strong> Auto muss vorfahren, der Gang über<br />
den roten Teppich, die Ausstrahlung, die<br />
Körperhaltung und das Lächeln müssen<br />
stimmen. Vornehme Zurückhaltung zeigt<br />
man im Verhalten, nicht im Auftreten.<br />
Peinlich angezogen fühlte ich mich nie.<br />
Vieles würde ich heute nicht mehr tragen,<br />
aber jedes meiner Outfits entsprach zu<br />
seiner Zeit meinem Lebensgefühl.<br />
Aufgezeichnet von LENA BERGMANN<br />
Foto: Heike Steinweg<br />
104<br />
<strong>Cicero</strong> – 9. 2014