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Cicero Das neue Nationalgefühl (Vorschau)

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SALON<br />

Reportage<br />

DER LETZTE<br />

VORHANG<br />

Von ALEXANDER MARGUIER<br />

<strong>Das</strong> Stadttheater ist so etwas wie das<br />

Rückgrat der Kulturnation Deutschland.<br />

Aber nicht nur Geldmangel und<br />

Bevölkerungswandel bedrohen seine Existenz.<br />

Der Niedergang hat System<br />

Illustrationen MARTIN HAAKE<br />

<strong>Das</strong> Dessauer Theater ist eine überragende<br />

Einrichtung – zumindest<br />

architektonisch. Mit einer Höhe<br />

von 36 Metern zählt es zu den größten<br />

Bühnenhäusern Europas und prägt schon<br />

von weitem das Bild der Stadt; nach den<br />

Worten des Oberbürgermeisters handelt<br />

es sich denn auch um den „kulturellen<br />

Leuchtturm Anhalts“. Demnächst<br />

beginnt die 220. Spielzeit, die Tradition<br />

des Theaters ist beinahe so ehrfurchtgebietend<br />

wie seine 1938 im Zuge eines<br />

Neubaus fertiggestellte Fassade mit<br />

ihren zwölf imposanten Pilastern. Hitler<br />

und Goebbels waren damals zur Eröffnung<br />

dabei, gegeben wurde Webers<br />

„Freischütz“. 1893 war Richard Wagners<br />

„Ring“ erstmals in Dessau zu sehen gewesen,<br />

ein Jahr später kam dessen Witwe<br />

Cosima höchstpersönlich angereist, um<br />

„Hänsel und Gretel“ zu inszenieren. Die<br />

Stadt galt von da an als „Bayreuth des<br />

Nordens“.<br />

Zu DDR-Tagen gab es für Vorstellungen<br />

in dem Haus, wo anfangs noch<br />

Hilde Benjamins Schauprozesse abgehalten<br />

wurden, kaum Karten zu bekommen<br />

– trotz der knapp 1100 Plätze. Besucher<br />

aus dem ganzen Land sorgten für<br />

ausverkaufte Reihen und jubelten Stars<br />

wie Eva-Maria Hagen in „My Fair Lady“<br />

zu. So spiegelt sich in der Geschichte<br />

des Dessauer Theaters das Selbstverständnis<br />

Deutschlands als „Kulturnation“<br />

geradezu exemplarisch wider: von<br />

den Anfängen als herzogliches Hoftheater<br />

über die Zeiten kultureller Volkserbauung<br />

mit allen Höhen und Tiefen bis<br />

in die Endphase des Subventionstheaters<br />

in der ausblutenden Provinz. Denn<br />

in letzter Zeit machen die Dessauer Bühnen<br />

trotz künstlerischer Erfolge fast nur<br />

noch wegen ihrer finanziellen Misere<br />

von sich reden. Der Deutsche Kulturrat<br />

führt sie seit dem vergangenen Jahr<br />

auf seiner „roten Liste“ der bedrohten<br />

118<br />

<strong>Cicero</strong> – 9. 2014

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