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BERLINER REPUBLIK<br />
Reportage<br />
Der Geruch von Fleisch und Zwiebeln<br />
erfüllt das Gartenhäuschen,<br />
er steigt von einem Teller Mettbrötchen<br />
auf. Die Männer im Raum würden<br />
zugreifen, aber erst einmal muss die<br />
Tagesordnung des Kreisvorstands der<br />
AfD Erzgebirge durchgearbeitet werden.<br />
Carsten Hütter, 50 Jahre, Kfz-Meister,<br />
Autohausbesitzer und Oberfeldwebel<br />
a. D., sitzt am Tischende. Es ist sein<br />
Gartenhäuschen, hier in Großrückerswalde<br />
bei Marienberg, und es ist sein<br />
Kreisverband. Er motiviert, moniert und<br />
mahnt. Die Wahlkampfhelfer aus Nordrhein-Westfalen<br />
müssen betreut werden!<br />
Trommelt mehr Plakataufhänger zusammen!<br />
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Ein Pin-up-Girl lächelt von der Wand<br />
herunter. Eine Golftasche lehnt in der<br />
Ecke. <strong>Das</strong> Gartenhäuschen ist wohl das,<br />
was man im Englischen eine man cave,<br />
eine Männerhöhle, nennt. <strong>Das</strong> Familienhaus<br />
steht in sicherer Distanz knappe<br />
40 Meter entfernt.<br />
Hütter ist Landesvize der sächsischen<br />
AfD. Der Wahlkampf läuft. Am 31. August<br />
wählen die Sachsen ihren Landtag,<br />
Hütter kandidiert auf einem aussichtsreichen<br />
Listenplatz. Seit der Bundestagswahl<br />
vor einem Jahr und erst recht seit<br />
den Kommunal- und Europawahlen im<br />
Mai gilt Sachsen als AfD-Hochburg. In einem<br />
Gürtel entlang der Grenze zu Tschechien<br />
und Polen, der vom Vogtland im<br />
Westen bis Görlitz im Osten reicht, waren<br />
Im Erzgebirge<br />
setzte einst sogar<br />
die SED auf die<br />
CDU. Aber nun<br />
nagt die AfD an<br />
der Union<br />
Sein Gartenhaus, seine AfD.<br />
Carsten Hütter ( links ), Parteichef<br />
im Kreis Erzgebirge, mit einem<br />
Mitstreiter, der Gastwirt ist<br />
die Wahlergebnisse nochmal höher. Im<br />
Erzgebirge erreichte sie bei den Europawahlen<br />
11,4 Prozent, in manchen Städten<br />
wie Schwarzenberg und eben in der<br />
Großen Kreisstadt Marienberg um die<br />
13 Prozent. Seit der Wahl im Mai sitzen<br />
sieben AfD-Abgeordnete im Kreistag, die<br />
SPD hat nur ein Mandat mehr. Hier in der<br />
Hochburg kann man etwas über das Wesen<br />
der AfD lernen, über ihre DNA.<br />
EIN SOMMERABEND, kurz nach sieben,<br />
draußen ist die Luft etwas abgekühlt.<br />
Drinnen in Hütters Gartenhäuschen<br />
riecht es frisch nach dem Hobbykellerholz,<br />
mit dem die Wand verkleidet ist.<br />
Es geht auch ums Geld, heikel, denn der<br />
Kreisverband ist jetzt, in Wahlkampfzeiten,<br />
finanziell und personell am Limit.<br />
Ein wenig Geld kommt von der Bundespartei,<br />
viel zahlt Hütter selbst, 1000 Euro<br />
im Monat allein für den Sprit. Aber die<br />
Kostenerstattung aus dem Landeshaushalt<br />
ist greifbar. Und die Mittel und Mitarbeiter,<br />
die einer Landtagsfraktion zustehen.<br />
Hütter mahnt: „Fraktions- und<br />
Parteiaufgaben müssen klar getrennt<br />
sein, da achtet der Rechnungshof drauf.“<br />
Im Erzgebirge rüttelt die AfD an der<br />
mächtigen CDU. Eine <strong>neue</strong> Partei, die<br />
nur 60 Mitglieder im Kreis hat und nur<br />
20 aktive, macht der CDU Probleme. Die<br />
Union ist in dieser Gegend traditionell<br />
so verankert, dass schon die SED in einigen<br />
Städten Bürgermeister der Blockpartei<br />
CDU hinnahm; sie wusste, wie<br />
schwer es gewesen wäre, SED-Bürgermeister<br />
einzusetzen. Die Menschen sind<br />
für ostdeutsche Verhältnisse überdurchschnittlich<br />
gläubig. Die evangelische<br />
Landeskirche ist stark, überdies beten<br />
die Menschen in Freikirchen und evangelikalen<br />
Gemeinden, die nach 1989 entstanden<br />
sind. Viel Wald, raues Klima, die<br />
Leute sind eigensinnig. Manche Familien<br />
arbeiten noch wie im 19. Jahrhundert und<br />
pflegen ihr Handwerk in der Werkstatt<br />
hinterm Haus. 1000 Euro mehr oder weniger<br />
in der Kasse können zu einer Existenzfrage<br />
für einen Betrieb werden.<br />
Nachfrage bei Albrecht Kohlsdorf,<br />
früher lange CDU-Landrat: Was macht<br />
die CDU falsch? Kohlsdorf meint, die<br />
Euro-Rettungspolitik habe Wähler von<br />
der CDU weggetrieben. Die Erzgebirger<br />
seien Sparer, die Angst um ihre Einlagen<br />
hätten. Zudem wünschten sich<br />
48<br />
<strong>Cicero</strong> – 9. 2014