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Cicero Das neue Nationalgefühl (Vorschau)

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„ In Berlin muss<br />

man leider mit<br />

der Lupe nach<br />

guten Supermärkten<br />

suchen “<br />

Gibt es insgesamt ein regionales Gefälle?<br />

Ja, eindeutig. Je weiter Sie in den<br />

Süden kommen, desto besser werden die<br />

Supermärkte. Ich glaube, das ist auch<br />

kulturell bedingt, weil die Menschen<br />

im Norden und im Osten Deutschlands<br />

lange wenig Wert auf gutes Essen gelegt<br />

haben.<br />

Herr Wiem, warum macht Einkaufen im<br />

Supermarkt fast überall auf der Welt<br />

mehr Spaß als in Deutschland?<br />

Volker Wiem: Es gibt ja diesen<br />

Spruch, dass die Deutschen mehr Geld<br />

für ihr Motoröl ausgeben als für ihr Olivenöl.<br />

<strong>Das</strong> wirkt sich natürlich auch auf<br />

die Supermarktkultur hierzulande aus.<br />

Bei den Franzosen und den Italienern ist<br />

es genau andersrum. Denen ist es nicht so<br />

wichtig, dass es ihrem Auto gut geht, die<br />

kümmern sich lieber ums eigene Wohlergehen:<br />

gute Flasche Wein, guter Käse,<br />

Aufschnitt – die Wertschätzung für gutes<br />

Essen ist in diesen Ländern einfach größer<br />

als bei uns.<br />

Sie betreiben mit Ihrer Familie acht<br />

Edeka-Filialen in Hamburg. Einer Ihrer<br />

Märkte wurde gerade vom Handelsverband<br />

zum „Supermarkt des Jahres 2014“<br />

gewählt. Woran erkenne ich als Kunde,<br />

ob ich einen gut geführten Supermarkt<br />

betrete?<br />

Ich achte als Erstes darauf, ob die<br />

Mitarbeiter aufmerksam und freundlich<br />

sind. Finde ich in allen Abteilungen einen<br />

Ansprechpartner, wenn ich beraten<br />

werden will? Wird Käse und Aufschnitt<br />

so verpackt und aufgeschnitten,<br />

wie ich das möchte? Sieht die Ware an<br />

der Fleisch- und Fischtheke gut aus, sind<br />

Obst und Gemüse frisch? Wenn Sie das<br />

alles bejahen können und dann noch die<br />

Volker Wiem<br />

Dem 44-jährigen Kaufmann<br />

gehört zusammen mit seiner<br />

Frau, seinem Schwager und<br />

seinem Schwiegervater die<br />

Edeka-Kette Niemerszein mit<br />

acht Filialen in Hamburg,<br />

die insgesamt 400 Mitarbeiter<br />

beschäftigt. Schon Wiems<br />

Eltern hatten einen Supermarkt,<br />

sodass er als Baby nicht im<br />

Kinder-, sondern im Einkaufswagen<br />

neben der Kasse schlief<br />

Atmosphäre stimmt, dann sind Sie in einem<br />

guten Supermarkt.<br />

Wenn Sie die deutsche Supermarktkultur<br />

benoten müssten, wo liegen wir da<br />

auf der Schulnotenskala?<br />

Es gibt alles zwischen sehr gut und<br />

mangelhaft. Gerade die von selbstständigen<br />

Händlern betriebenen Läden, die es<br />

ja fast nur noch bei Edeka und Rewe gibt,<br />

werden mit sehr viel Passion und Leidenschaft<br />

geführt, und auch im Kaufhausbereich<br />

gibt es gute Abteilungen. Aber es<br />

gibt eben Regionen, wo man mit der Lupe<br />

nach guten Supermärkten suchen muss.<br />

<strong>Das</strong> gilt für Berlin, aber auch in Hamburg<br />

war es lange Zeit schwierig.<br />

Der deutsche Lebensmittelmarkt wird<br />

mit einem Marktanteil von über 40 Prozent<br />

ja sehr stark von den Discountern<br />

beherrscht. Waren die inzwischen verstorbenen<br />

Gebrüder Albrecht aus Ihrer<br />

Sicht eher gewiefte Gauner oder großartige<br />

Unternehmer?<br />

Als Gauner würde ich sie nie bezeichnen,<br />

und für ihr Lebenswerk Aldi<br />

bewundere ich sie. Mit so günstigen Produkten<br />

so viel Geld zu verdienen, das<br />

muss man erst mal hinbekommen. <strong>Das</strong><br />

ist ja irgendwie fast ein Treppenwitz,<br />

dass die Erfinder des Discounters zu den<br />

reichsten Deutschen aufgestiegen sind.<br />

Aber haben die Aldi-Brüder mit der<br />

Schaffung der Discounterrepublik<br />

Deutschland unserem Umgang mit Lebensmitteln<br />

nicht eher geschadet?<br />

Sicher haben sie das Einkaufsverhalten<br />

der Deutschen geprägt, aber man<br />

muss mit einem solchen Konzept auch<br />

auf eine Mentalität stoßen, die das gut<br />

findet. Sie haben erkannt, was die deutschen<br />

Kunden haben wollten, nämlich<br />

extrem günstige Lebensmittel. Es liegt<br />

aber nicht nur an den Preisen. In Frankreich<br />

ist der Marktanteil der Discounter<br />

wesentlich geringer, obwohl es den Franzosen<br />

wirtschaftlich schlechter geht als<br />

uns. Ich finde es aber traurig, wenn man<br />

sich als Kunde nur auf das Angebot Aldi<br />

beschränkt, weil einem da viel entgeht.<br />

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<strong>Cicero</strong> – 9. 2014

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