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STIL<br />
Porträt<br />
OPERATION PINK<br />
70 Jahre Zweiter Weltkrieg: Mit der Modedesignerin Elsa Schiaparelli rückt eine besondere<br />
Zeitzeugin in den Blick – dank ihrer nun auf Deutsch erscheinenden Autobiografie<br />
Von ILONKA WENK<br />
Foto: Condé Nast Archive/CORBIS<br />
Ende August 1944. Nach ihrer Landung<br />
in der Normandie kämpfen<br />
sich die alliierten Truppen vorwärts,<br />
um Europa von der Nazidiktatur<br />
zu befreien. Gerade hat General von<br />
Choltitz in Paris kapituliert. Emigranten<br />
fiebern ihrer Heimkehr entgegen – in<br />
New York auch die 53-jährige Elsa Schiaparelli,<br />
eine der großen Modedesignerinnen<br />
des 20. Jahrhunderts.<br />
Die Wahlfranzösin italienischer Herkunft<br />
begab sich während des Zweiten<br />
Weltkriegs auf US-Mission, wo sie für<br />
den Ruf der französischen Mode kämpfte.<br />
Ihre Motive waren nicht politisch – und<br />
doch ist Elsa Schiaparelli damit zwischen<br />
alle Fronten geraten. Ihre Autobiografie<br />
„Shocking Life“ von 1954 erscheint jetzt<br />
erstmals in deutscher Übersetzung. Im<br />
Ton entspricht sie ihrer Markenfarbe Shocking<br />
Pink – strahlend, vital, offensiv.<br />
Der Reihe nach. Als römische Professorentochter<br />
heiratet sie blutjung einen<br />
Esoteriker, mit dem sie nach New<br />
York geht. Er lässt sie mittellos mit der<br />
Tochter Gogo sitzen. Sie schließt Freundschaft<br />
mit surrealistischen Künstlern wie<br />
Man Ray und Marcel Duchamps und<br />
zieht 1929 mit ihnen nach Paris.<br />
Sie ist eine Autodidaktin. In Paris<br />
baut sie ihr eigenes Mode-Imperium auf.<br />
Ihre bizarren Kleider, von den Surrealisten<br />
Salvador Dalí oder Jean Cocteau mit<br />
Hummern und Schubladen bemalt, machen<br />
Schlagzeilen. Ihr legendäres Skelett-Kleid,<br />
das durch Steppungen das<br />
menschliche Knochengerüst nachzeichnete,<br />
schrieb Modegeschichte. Einfälle<br />
wie breite Schulterpolster, asymmetrische<br />
Dekolletés und der Einsatz von<br />
Reißverschlüssen als Blickfang gehen<br />
auf sie zurück.<br />
Der brisante Teil von Schiaparellis<br />
Leben beginnt im Mai 1940. Die<br />
deutschen Truppen haben bereits die<br />
Beneluxländer überrannt. Nur zu genau<br />
wissen die Pariser Vertreter der<br />
Haute Couture, was ihnen blüht, wenn<br />
die Deutschen auch bei ihnen einmarschieren:<br />
„Heim ins Reich“ – die Gleichschaltung<br />
ihrer französischen Eleganz<br />
mit dem völkischen Geschmack der Besatzer.<br />
Aber Lucien Lelong, selbst Couturier<br />
und Sprecher der Standesorganisation<br />
Chambre Syndicale, verhandelt<br />
geschickt. In einer Art Blase, abgeschottet<br />
vom Ausland, wird die Branche überleben.<br />
Die Pariser Modemacher kleiden<br />
nun keine Hollywoodstars mehr ein, sondern<br />
die Frauen von Hitlers Statthaltern.<br />
DIESE ISOLATION VERANLASST prominente<br />
Modeschöpfer wie Jeanne Lanvin<br />
bei einem Geheimtreffen im unbesetzten<br />
Biarritz in Südwestfrankreich, eine<br />
Kollegin in die USA zu schicken: Elsa<br />
Schiaparelli, denn sie kennt sich dort<br />
aus. Während des Krieges macht es sich<br />
„Schiap“ zur Aufgabe, die Wertschätzung<br />
für die französische Mode von den<br />
USA aus in die Zeit nach dem Krieg hinüberzuretten.<br />
Äußerlich unscheinbar<br />
und ohne Erfahrung als Rednerin startet<br />
sie eine zweimonatige Vortragsreise<br />
mit Modenschauen durch 42 Städte. Zunächst<br />
läuft es zäh, doch am Schluss, in<br />
St. Paul, Minnesota, bejubeln sie Tausende<br />
Zuhörerinnen.<br />
Um dem wachsenden Elend in Europa<br />
zu begegnen, organisiert sie Benefizauktionen,<br />
die Rekordsummen erzielen.<br />
In den New Yorker Räumen von „American<br />
Aid To France“ veranstaltet sie zum<br />
Beispiel eine sensationelle Verkaufsausstellung<br />
mit Werken ihrer Malerfreunde<br />
Salvador Dalí, Marcel Duchamp,<br />
Fernand Léger und Pablo Picasso. Wenn<br />
nur das FBI mit seinem Verfolgungswahn<br />
nicht wäre. Spioniert sie, die gebürtige<br />
Italienerin, etwa für Mussolini? Und ist<br />
der konfiszierte braune Samthut aus Paris,<br />
den sie über Chile an ihre Adresse in<br />
Princeton schicken ließ, nicht Beweis für<br />
ein Komplott auch mit den Nazis?<br />
Elsa Schiaparelli muss sich getrieben<br />
gefühlt haben, wie ein Flüchtling. Zum<br />
Albtraum wird eine Reise, die sie unternimmt,<br />
um in Frankreich eine Medikamentenspende<br />
der Quäker abzuliefern.<br />
Spontan schaut sie in Paris vorbei, wo<br />
ihr das Personal treu die Stellung hält. Im<br />
Zug dorthin nehmen ihr die Deutschen<br />
das Geld ab. Und für den Weg zurück<br />
zum Hafen von Lissabon quer durch die<br />
Vichy-Zone fehlen ihr die Transitvisa.<br />
Schiaparelli entgeht zwar einer Inhaftierung,<br />
doch zurück in den USA ändert<br />
sie erneut ihr Leben: Sie wird Krankenschwester<br />
und betreut in New York<br />
junge Patienten, die an Polio erkrankt<br />
sind – so wie als Kind auch ihre Tochter<br />
Gogo, die sich inzwischen selbst für<br />
Hilfskorps engagiert.<br />
Der Gipfel der Absurdität: Bevor<br />
Schiaparelli nach vier Jahren wieder in<br />
Paris einreisen darf, muss sie sich einem<br />
Verhör stellen. Wie ein Schulmädchen<br />
legt sie Vertretern der Chambre Syndicale<br />
über ihren Einsatz in den USA Rechenschaft<br />
ab. Auch geschäftlich ist die<br />
Lage schwierig. Vor ihrer Pariser Boutique<br />
stehen zwar die GIs Schlange, die<br />
Parfum für ihre Freundinnen kaufen wollen.<br />
Doch insgesamt hat sich der Stil ihres<br />
Labels überlebt. Während ihrer Rivalin<br />
Coco Chanel, einer politischen Opportunistin,<br />
das Comeback gelingt, zieht<br />
Schiaparelli in ihrer tunesischen Villa Bilanz<br />
– unsentimental und mit grimmigem<br />
Humor. So ist ein Zeitdokument entstanden,<br />
das alle Moden überdauert.<br />
ILONKA WENK ist freie Autorin und schreibt<br />
am liebsten über Mode, Kunst und Design.<br />
Sie lebt in München<br />
95<br />
<strong>Cicero</strong> – 9. 2014