Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
viele ein Korrektiv der CDU. Nachdem<br />
die FDP versagt habe, wählten viele die<br />
AfD. Kohlsdorf fällt auf, dass die lokalen<br />
AfD-Kandidaten Unbekannte sind. Hat<br />
er recht, ist dies ein Zeichen dafür, dass<br />
die AfD im Erzgebirge eine typische Protestpartei<br />
ist, die nicht wegen des Personals<br />
oder ihrer Verankerung gewählt<br />
wird, sondern als Ventil für den Unmut<br />
vieler Menschen dient.<br />
DIE TAGESORDNUNG ist endlich abgearbeitet.<br />
Hütter gibt die Mettbrötchen frei.<br />
Die Männer öffnen ihre Bierflaschen.<br />
Der harte Kern der AfD Erzgebirge<br />
besteht an diesem Abend aus Hütter<br />
und vier anderen. Ein ernsthafter<br />
Sie fühlen sich unverstanden –<br />
dieses Gefühl eint die Männer<br />
von der AfD. Und es findet<br />
Widerhall<br />
Polizeihauptkommissar, ein introvertierter<br />
Berufsschullehrer, ein ruhiger Steuerberater<br />
und ein wütender Wirt. Der<br />
Wirt – schwarze Weste, schwerer Dialekt<br />
– ballt die Faust. Er presst die Worte<br />
heraus: „Die Gaststättenkultur wird hier<br />
zerstört!“ Wegen des Rauchverbots habe<br />
er seinen Betrieb aufgeben müssen. Er<br />
vertritt außerdem das Ressentiment-Element<br />
der AfD, wenn er von „dem deutschen<br />
Steuerzahler“ spricht und den<br />
Asylbewerbern, die „auf unsere Kosten“<br />
leben. Wenn der Wirt in Fahrt kommt,<br />
verzieht der Hauptkommissar das Gesicht<br />
und verteidigt die Asylbewerber<br />
mit bedächtiger Stimme: „Sie nehmen<br />
nur ihre Rechte wahr.“ Es seien „traumatisierte<br />
Leute“, denen man nicht jeden<br />
Regelverstoß ankreiden sollte.<br />
Der Hauptkommissar spricht über<br />
die Droge Crystal Meth, die in Tschechien<br />
produziert und über die Grenze<br />
gebracht wird. Die Therapie der Süchtigen<br />
sei so wichtig wie die strafrechtliche<br />
Verfolgung. Er könnte locker als Drogenpolitiker<br />
der SPD durchgehen.<br />
Der Lehrer, <strong>neue</strong>rdings im Kreistag,<br />
stört sich an der Ausländerpolitik. Sie<br />
gehe von einer Willkommenskultur aus,<br />
die jedoch „basisfremd“ sei. Man müsse<br />
sich an der Masse der Wähler orientieren.<br />
Er schimpft auch über die CDU-Seilschaften,<br />
die sich seit 1990 in Marienberg<br />
gebildet hätten.<br />
Auch Carsten Hütter ist von der<br />
CDU enttäuscht. 2010 trat er aus, weil<br />
sie ihm zu links geworden war. Die Mehrwertsteuererhöhung,<br />
die die Große Koalition<br />
in Berlin – 2005 bis 2009 – beschlossen<br />
hatte, sei ein Schlag gewesen.<br />
Und: Als normales Mitglied habe er nie<br />
eine Chance gehabt, in der Partei vor Ort<br />
etwas zu werden. Ein kleiner Funktionärskreis<br />
vergebe die Posten unter sich.<br />
Sachsen sei nach fast 25 Jahren an der<br />
Regierung von der CDU durchtränkt, die<br />
Amtsträger benähmen sich wie Gutsherren.<br />
„Wer als Kleinunternehmer mit den<br />
Steuern säumig ist, dem sperren sie sofort<br />
das Konto – Zack, Ende.“<br />
Die Motive der einzelnen Vorstandsmitglieder<br />
sind verschieden. Aber sie alle<br />
fühlen sich unverstanden. Pathetisch gesagt:<br />
Sie halten sich für politisch heimatlos.<br />
Dieses Gefühl stößt auf Widerhall.<br />
Befragt man Passanten auf der Straße<br />
in Marienberg zur Landtagswahl, stößt<br />
49<br />
<strong>Cicero</strong> – 9. 2014