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Ihre Mutter besaß eine riesige Kollektion Schallplatten, überwiegend<br />
Klavier- und Orgelmusik, oft geistlicher Art. Die hörte sie als Kind mit Begeisterung<br />
– obwohl unter der sowjetischen Besatzung alles verboten war,<br />
was mit Religion und Kirche zu tun hatte. Mit 16 spielte sie Orgel beim Besuch<br />
von Papst Johannes Paul II. in Lettland. Defizite habe es während der<br />
sowjetischen Zeit in Lettland in allen Bereichen gegeben. Bücher waren rar.<br />
Viele der Originalwerke lettischer Klassiker stehen nun neben lettischen Ausgaben<br />
deutscher Literaten im Regal in Riga, dem Zweitwohnsitz. Manches<br />
Werk wandert hin und her. Etwa Janis Rainis, „unser größter, wichtigster<br />
Autor“, der Goethes „Faust“ ins Lettische übersetzte. „Feuer und Nacht“<br />
zähle zu den Meilensteinen der lettischen Befreiungsliteratur, sagt Apkalna.<br />
Lettisch, Englisch, Deutsch: Die Musikerin zappt mit hohem Tempo<br />
durch die Sprachen. Ihr perfektes Deutsch hat sie während der Studienzeit<br />
an der Musikhochschule Stuttgart durch Harald Schmidt und dessen Show<br />
gelernt. Jeden Abend saß sie vor dem Fernseher, verstand zwar kein Wort,<br />
aber ihr Wunsch, die deutsche Sprache zu lernen, war geweckt. Sie holte<br />
sich das Rüstzeug dann während eines Sprachkurses in Riga. Damals wusste<br />
sie nicht, dass der Entertainer selbst Organist ist – später gab sie mit ihm<br />
gemeinsam in der Kölner Philharmonie ein Konzert für Kinder.<br />
Als ihr gegen Ende des Studiums nicht klar war, was aus ihr werden<br />
sollte, stieß Iveta Apkalna auf Hesses „Siddharta“ und war fasziniert von<br />
der Suche des jungen Helden nach seinem Weg. Gleichzeitig beschäftigte<br />
sie sich mit der Musik von Philip Glass und entdeckte Parallelen. Die Minimal<br />
Music, deren Rhythmen sich litaneihaft wiederholen, sei wie ein steter<br />
Fluss, der sich nicht ändert. „Doch während ich an diesem Fluss sitze, verändere<br />
ich mich.“ <strong>Das</strong> war auch bei anderen Werken von Hesse wie dem<br />
„Glasperlenspiel“ zu spüren und habe ihr bei der Selbstfindung geholfen.<br />
Welches Buch würde sie heute zur Hand nehmen, wenn sie nicht mehr<br />
weiterwüsste? Die „Epifanijas“ von Imants Ziedonis. Sie greift nach dem<br />
schmalen Bändchen und zitiert: „Es gibt viele Wahrheiten in dieser Welt.<br />
Man droht verrückt zu werden, wenn man nicht seine eigene hat.“ <strong>Das</strong> Buch<br />
begleitet sie fast immer, sie lese die Weisheiten jedes Mal neu. So wie sie<br />
seit 15 Jahren dieselben Werke von Bach spielt, dem Komponisten, der für<br />
sie Alpha und Omega ist.<br />
Sie liest Bücher in lettischer, zuweilen auch russischer Sprache. Den Kindern<br />
erzählt sie deutsche Geschichten auf Lettisch. Ihr Mann, ein Deutscher,<br />
von Beruf Tonmeister und Produzent, lernt Lettisch, „natürlich“. Jüngst haben<br />
sie während ihres Urlaubs parallel auf Deutsch und Lettisch „Homo<br />
Novus“ von Anslavs Eglitis gelesen und sich sehr amüsiert über die liebevoll-spöttische<br />
Betrachtung der Kunstszene im Riga der zwanziger Jahre.<br />
Den lettischen Pass will Iveta Apkalna behalten. Augenzwinkernd fügt<br />
sie hinzu: „Never say never.“ In Apinis’ Buch über die berühmten Letten<br />
blättert sie oft. „Seit ich in Deutschland lebe, bin ich patriotischer geworden.“<br />
Foto: Götz Schleser für <strong>Cicero</strong><br />
CLAUDIA RAMMIN würde die Werke von Bach gerne so gut spielen wie Apkalna<br />
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<strong>Cicero</strong> – 9. 2014