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Kreide-fuer-den-Wolf_Roland-Baader

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ner Träne.” Die Menschen streben nun einmal nach Glück und<br />

materiellem Wohlergehen. Und das ist gut so, <strong>den</strong>n dies ist die<br />

Quelle aller Entwicklung, aller Kultur und Zivilisation, allen Erfindungsreichtums<br />

und aller Vielfalt des Lebens. Obwohl die Anforderungen<br />

an Verantwortlichkeit, Disziplin und charakterliche<br />

Festigkeit im Verlauf der ständigen Verbesserung der materiellen<br />

Lebensumstände eher zunehmen (zumindest subjektiv gesehen,<br />

weil auch die Möglichkeiten des Fehlverhaltens wachsen), ist es<br />

nicht das – der Wohlstandsgewinn –, was eine Zivilisation, ein<br />

Volk oder eine Nation zerstören kann, sondern die Gesetze, mit<br />

welchen man glaubt, dem jeweils Erreichten Rechnung tragen zu<br />

müssen. Wenn eine Großgruppe, eine Gesellschaft, einen hohen<br />

zivilisatorisch-kulturellen Entwicklungsstand erreicht hat, dann<br />

aufgrund der Tatsache, daß sie eine hierfür geeignete (oder günstige)<br />

Werte-Skala hatte, einen ungeschriebenen Verhaltenskodex<br />

(oder einen geschriebenen, der nur <strong>den</strong> günstigen ungeschriebenen<br />

nachvollzogen hat). Also eine Palette jener Taburegeln, die „überlebensgünstig”<br />

waren. Die Eigenschaft der „ Überlebensgünstigkeit”<br />

ist jedoch nicht i<strong>den</strong>tisch mit „Vernünftigkeit”.<br />

Die Versuchung war schon immer groß (und sie ist mit der<br />

„Aufklärung” und „Emanzipation” ins Unermeßliche gestiegen),<br />

all diese Regeln „vernünftig” interpretieren zu wollen, sie als Ergebnis<br />

von Vernunft oder Unvernunft zu betrachten. Von hier aus<br />

ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, bloß noch jene Gepflogenheiten<br />

anzuerkennen, die uns vor dem Hintergrund angeblich<br />

oder tatsächlich veränderter Umstände als „vernünftig” erscheinen.<br />

Vernünftig in dem Sinne, daß sie von uns gesetzten oder gewollten<br />

Zwecken dienen. Im gleichen Sinn wohnt dem, was wir<br />

„Gesetz” nennen, also dem positiv gesetzten Recht, immer eine<br />

konstruktivistische Ten<strong>den</strong>z inne.<br />

Je mehr nun eine Gesellschaft sich „Recht” setzt, das nicht lediglich<br />

eine schriftliche Dokumentation der gelten<strong>den</strong> Tabu-<br />

Regeln sein will, sondern bestimmten vorgedachten Zwecken dienen<br />

soll, desto mehr zerstört sie die Struktur jener gewachsenen<br />

Regeln menschlichen Verhaltens – und damit die Bedingungen ihres<br />

eigenen Überlebens. Nicht der Reichtum zerstört ein Volk,<br />

sondern die Gesetze, die auf diesem Reichtum wachsen.<br />

Ein Beispiel möge hier genügen: In allen erfolgreichen Kulturen<br />

kennen wir die Institution des „Respekts vor dem Alter” und<br />

des „Altenteils” (also die Verpflichtung der Kinder, für <strong>den</strong> Unterhalt<br />

der alten Eltern Sorge zu tragen). Nachträglich analysiert,<br />

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