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Kreide-fuer-den-Wolf_Roland-Baader

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mehr in seinem Leben entschei<strong>den</strong>; <strong>den</strong>n auch die vordergründig<br />

nicht-ökonomischen Komponenten – wie Bildung, Geschmack,<br />

Partnerschaft, Lebenseinstellung – sind eng mit der eigenverantwortlichen<br />

Gestaltungsfreiheit in <strong>den</strong> materiell-ökonomischen Bereichen<br />

verknüpft. Nirgendwo auf der Welt gibt es jene sagenumwobene<br />

Mißgeburt, zu deren Zeugung sich Freiheit und Sozialismus<br />

hätten paaren müssen oder können. Kapitalismus ist Freiheit<br />

und Leben, und Sozialismus ist Not und Tod. Dazwischen ist nur<br />

Lüge, Wahn und Illusion.<br />

Wir sollten unser Augenmerk jedoch nicht nur auf die positive<br />

Stärke der Eintracht von Freiheit und Kapitalismus richten, sondern<br />

uns auch der Erkenntnis öffnen, daß ihre Schwächen – besser:<br />

ihre Imperfektibilitäten – gemeinsamen Ursprungs sind. Natürlich<br />

ist die Freiheit der Menschenkinder keine elysische Kategorie<br />

und wird niemals makellos zu realisieren sein; und natürlich<br />

ist auch der Kapitalismus nicht die Blaue Blume der Industrie-<br />

Romantik und nicht die Lösungsformel zur himmlischen Verzauberung<br />

des irdischen Jammertals, das die Erde <strong>den</strong> Menschen immer<br />

gewesen ist und für alle Zeit bleiben wird. Verglichen mit <strong>den</strong><br />

olympischen Wonnegefil<strong>den</strong> und <strong>den</strong> paradiesischen Heile-<br />

Gänschen-Schimären der sozialistischen Utopien muß Marktwirtschaft<br />

stets der schäbige Hinterhof des Elysiums bleiben; aber: es<br />

ist der beste, der realistischste und der menschlichste Hinterhof,<br />

<strong>den</strong> wir errichten und bewohnen können.<br />

In einem anderen Zusammenhang hat die Germanistik-<br />

Professorin Gertrud Höhler (in ihrem blitzgescheiten und höchst<br />

lesenswerten Buch „Die Kinder der Freiheit” 234 ) – mit Blick auf<br />

die Jugendlichen der Wohlstandsgeneration – geschrieben: „Jugend<br />

fordert <strong>den</strong> extremen Wert, das unverhüllte Ideal, die ungebrochene<br />

Tugend, weil wir sie an Zwischenwerte, an Bescheidung<br />

und Rücksicht, an Realismus im Fordern nicht gewöhnt haben. So<br />

entstehen inhumane Tugendforderungen, <strong>den</strong>en Erwachsene ratlos,<br />

beschämt und irritiert gegenüberstehen: Inferioritätsgefühle<br />

quälen viele Eltern, wenn ihre Kinder in <strong>den</strong> Visionen vollkommener<br />

Tugend und reiner Werte <strong>den</strong> Rang des gutgelebten Alltags<br />

verkennen. Sie, die Erwachsenen, fühlen nicht <strong>den</strong> Mut, das unvermischte<br />

Ideal zu fordern. Dabei verkennen sie, daß es ihre<br />

Kinder keinen Mut kostet, die Wirklichkeit in die Schranken zu<br />

fordern.” 235<br />

Man braucht nur das Wort „Jugend” durch das Wort „Unreife”<br />

zu ersetzen, und der analytische Höhler‟sche Blick läßt sich naht-<br />

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