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TN 50 - Gemeinnütziger Verein Tiegenhof - Kreis Großes Werder eV

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Anfang Januar 1945 näherte sich die Front immer mehr nach Deutschland, das hatte zur Folge, daß<br />

der Flüchtlingsstrom immer größer wurde. So wollten auch wir uns eines Tages auf den Weg<br />

machen. Keiner wußte eigentlich so richtig wohin, es hieß man könne sich nach Dänemark<br />

einschiffen lassen. Wir spannten mit unserer Nachbarin Frau Holland die Pferde an und packten die<br />

wichtigsten Sachen auf den Wagen. Da die ganze Straße mit Fahrzeugen verstopft und kein<br />

Weiterkommen war, mußte das Unternehmen wieder abgeblasen werden. Um uns zu beraten, was<br />

weiter zu tun ist, fuhren wir mit dem Nachbarn der anderen Seite, Herrn Kanzler im Pferdeschlitten<br />

nach Altebabke zu den Eltern meiner Mutter. Da auch dort die Lage nicht besser war, gingen wir<br />

nach sechs Wochen wieder nach Hause. Die Entfernung war etwa 10 km. Unterwegs begegneten<br />

uns viele Flüchtlinge und Soldaten. Die Soldaten waren mit weißen Umhängen getarnt, um von den<br />

Fliegern nicht gesehen zu werden. Zu dieser Zeit hatte sich die Front schon so weit genähert, daß<br />

der Himmel in dieser Richtung eine Feuerwand darstellte und bei genauem Hinhören, in nächtlicher<br />

Stille, waren die Geschütze zu hören.<br />

Jetzt dauerte es nur noch wenige Tage bis die Russen unser Dorf am 10.03.1945 erreicht hatten.<br />

Dieser Tag ist mir noch gut in Erinnerung. Am Abend zuvor quartierten wir uns mit noch drei<br />

Familien bei Weinreichs am Dorfende ein. In einem kleinen Zimmer hockten wir alle dicht<br />

beieinander. Vor· Angst wären wir in dieser Nacht am liebsten eingeschlafen und nicht wieder<br />

aufgewacht. Viele Menschen waren so verzweifelt, daß sie sich das Leben nahmen. Ganze Familien<br />

haben sich umgebracht. Die Eislöcher waren ma.nchrllal · nIcht groß genug, um alle aufzunehmen.<br />

Nachdem diese Nacht vorbei war, in der niemand geschlafen hatte, haben die Russen unser Dorf um<br />

5 Uhr morgens erreicht. Die einzigen Worte die sie deutsch sprechen konnten waren: Hitler kaputt,<br />

Uri Uri und Frau komm. Zunächst Wurde alles nach deutschen Soldaten abgesucht, dann ·<br />

Schützengräben um das Haus ausgehoben und die Geschütze in Stellung gebracht. Als es langsam<br />

hell wurde und die Kämpfe sich etwas beruhigt hatten, mußten wir das Haus verlassen. Wir zogen<br />

dann ins Nachbardorf Jungfer, das schon eingenommen war. Unterwegs fielen noch immer wieder<br />

Schüsse, so daß wir uns öfter schützend auf den Boden werfen mußten.<br />

Meine Mutter hat außer uns drei Kindern an der Hand nichts mitnehmen können. Später habe ich<br />

mir schon manchmal die Frage gestellt, wie sie das alles verkraftet hat? Manchmal war die<br />

Verzweiflung so groß, daß sie uns fragte:<br />

"Kommt ihr mit ins Wasser" .<br />

Wir haben ihr aber mit allem Nachdruck den Gedarlken aus dem Kopf geschlagen. Als die ersten<br />

Häuser in Jungfer erreicht waren, kehrten wir in eines schützend ein. Die Menschen waren dort<br />

zusammengedrängt, wie in einer Sardinenbüchse. Am 10. März brannte unser Dorf Neustädterwald<br />

fast nieder, die Brandstellen waren weit sichtbar. Als wir dort auf engstem Raum die erste Nacht<br />

überstanden hatten, zogen wir am nächsten Tag in ein größeres Stallgebäude ein. In den Tagen nach<br />

der Besetzung waren die Frauen und Mädchen permanent der Gefahr ausgesetzt, von russischen<br />

Soldaten vergewaltigt zu werden. Je nach Laune pickten sie sich ihre Opfer aus der Menge mit den<br />

Worten heraus: "Frau komm". Einige Erlebnisse habe ich aus meinem Gedächtnis nie verdrängen<br />

können. So zum Beispiel die Erschießung der Familie Frischbutter, den Vater mit seinen zwei<br />

Söhnen, nur die Mutter ließ man am Leben. Die Toten wurden in Decken gewickelt und<br />

eingegraben. - Oder auf einem Dachboden zwei aufgehängte Menschen.<br />

Weil das deutsche Militär den Weichseldamm gesprengt hatte, stand das ganze Gebiet unter<br />

Wasser. Dadurch konnten die Deutschen die Front noch einige Zeit halten, so daß die Rote Armee<br />

nur langsam voran kam. Von den Deutschen sollen noch Häuser angezündet worden sein.<br />

Nach ein paar Tagen mußten wir Jungfer verlassen. Es bildeten sich Gruppen. Wir hatten uns mit<br />

den Familien Lembke, Stein und Tiezen auf den Weg gemacht. Es ging in Richtung Elbing über die<br />

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