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TN 50 - Gemeinnütziger Verein Tiegenhof - Kreis Großes Werder eV

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"Versucht zu schlafen, dann merkt ihr den Hunger nicht so".<br />

Von Marienburg ging die große Reise los. Wohin wußte niemand. Immer wieder wurden wir auf<br />

Abstellgleise geschoben, bevor es weiter ging. Man hatte uns unterwegs einige Male weißes Pulver<br />

gegen Läuse auf den Kopf gestreut. Ab und zu gab es ein Brot, das aber immer bedeutend früher<br />

alle war, bevor es wieder mal was gab. Auf einem Bahnhof wurden die Waggons auseinander<br />

gekoppelt. Ein Teil ging dann weiter nach Westdeutschland. Wir befanden uns in dem Teil, der in<br />

Ostdeutschland blieb. Familie Timm und Großvater waren in dem Zug, der nach Westdeutschland<br />

fuhr. Er wollte seiner Frau hinterher, die sich ja schon im Jahr vorher nach dem Westen abgesetzt<br />

hatte. Opa brachte uns noch ein Brot, das er noch organisiert hatte und verabschiedete sich dann von<br />

uns.<br />

Nachdem wir zwei Wochen unterwegs waren, kamen wir nach Torgau in ein Lager. Hier wurden<br />

erst einmal alle geduscht und die Sachen wurden entlaust. Dort bezogen dann etwa fünf Familien<br />

ein Zimmer. Zum Mittagessen bekam jeder 1/4 Liter dünne Brühsuppe. Nur wer besonders<br />

abgemagert war, bekam einen Nachschlag. Zu dieser Zeit hatte mein Vater bei dem Bauern Franz<br />

Blaske in Doberburg <strong>Kreis</strong> Lübben eine Anstellung als Kutscher. Als ihm unser Aufenthaltsort<br />

bekannt wurde, kam er mit einem Holzkoffer, den er in der Gefangenschaft gebaut hatte, voll<br />

Sachen und Eßwaren ins Lager von Torgau. Uns war, als fielen Ostern und Weihnachten auf einen<br />

Tag. Ins Lager durfte aber niemand hinein. So gab er die Sachen ab und fuhr wieder nach<br />

Doberburg zurück.<br />

Nach einiger Zeit wurden die Menschen auf die umliegenden Orte verteilt. Unser neuer<br />

Aufenthaltsort wurde die Stadt Prettin. Hier gingen meine Geschwister und ich nach "zwei Jahren<br />

Ferien" wieder zur Schule. Wir bekamen eine kleine Wohnung zugeteilt. Die nötigen Möbel<br />

mußten wir uns zusammentragen. Gegenüber der Straße war eine Fleischerei, die uns manchmal<br />

etwas Wurstbrühe abgab. Diese Brühe hatte aber wenig Fettanteile. Der Hunger ist uns auch hierher<br />

gefolgt. Darum entschied ich mich, da am Stadtrand einige Landwirtschaften waren, betteln zu<br />

gehen. Die Ausbeute war meistens nicht sehr groß. Einmal habe ich versucht, die Gutmütigkeit<br />

auszunutzen. Nachdem ich andere Sachen angezogen hatte, bin ich ein zweites Mal zu dem einen<br />

Spender gegangen. Der hat es aber gemerkt und mich vom Hof gejagt. Daraus habe ich gelernt:<br />

Wenn mir einer seinen kleinen Finger gibt, nicht die ganze Hand haben zu wollen.<br />

Wir wohnten bis Anfang April in Prettin. Mein Vater war inzwischen auf einem großen Bauernhof<br />

im Nachbardorf Goschen <strong>Kreis</strong> Lübben tätig. Es war der Hof von Klara Burrmann. Dorthin holte er<br />

uns nach. Da der Mann von Frau Burrmann von den Russen abholt worden war, kam es ihr recht<br />

uns zur Arbeit aufzunehmen. Bis 1949 haben wir dort gewohnt und gearbeitet. Durch die<br />

Bodemeform wurde der Bauernhof auf drei Siedler aufgeteilt. Ein Siedlerstelle hat man uns<br />

überlassen. Im Dorf bekamen wir ganz günstig ein kleines Haus zu kaufen, was denn unsere zweite<br />

Heimat wurde.<br />

Ich bin auch hier bis 1949 zur Schule gegangen. In den ersten Jahren wurden die Menschen in zwei<br />

Klassen unterteilt: Einheimische und Flüchtlinge. Etwa wie heute Wessi und Ossi, so nach dem<br />

Motto, was habt ihr schon gehabt. Im September des gleichen Jahres begann ich in Lieberose bei<br />

Hermann Kappa eine Tischlerlehre. Die 6 km Strecke mußten jeden Tag auf Holzpantoffeln hin und<br />

zurückgelegt werden. Unsere Kleider und unser Schuhwerk war sehr dürftig. Wer Glück hatte<br />

bekam ab und zu einen Bezugsschein für ein Paar Socken oder einen Pullover. Wenn ich im<br />

Sommer etwa um 18 Uhr zu Hause war, lag schon auf dem Tisch ein Zettel mit der Aufschrift: "Zur<br />

Feldarbeit nachkommen". Jeder Bauer mußte den Ertrag an den Staat abliefern. Man unterschied<br />

zwischen "Soll" und "freien Spitzen". Letzteres wurde etwas besser bezahlt. Durch den sandigen<br />

Boden war der Ertrag oft so gering, daß nicht einmal das Soll erfüllt werden konnte. Da als Tischler<br />

nicht sehr viel verdient wurde, bin ich nach Beendigung meiner Lehre 1952 nach Eisenhüttenstadt,<br />

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