Betracht, so z.B. Jean Piaget und Bärbel Inhelder in ihrem Essay Die Grenzendes Empirismus oder James Hillman in seinem Buch The Souls Code) – dassuns Dialogfähigkeit und Einfühlungsvermögen in die Wiege gelegt sind und alssolche keineswegs „antrainiert“ werden müssen, sondern allenfalls „abtrainiert“werden können, ist heute bekannt. Eine bombensichere Methode, dieseprimären Kompetenzen zu ruinieren, bestünde etwa darin, das Kind ständigdemonstrativ distanziert zu behandeln, ausgehend von der falschen Annahme,es verwechsle einen sonst mit dem Stuhl, auf dem man sitzt.Winterhoff ficht das alles nicht an. Er referiert die klassische psychoanalytischePhasenlehre, bis zur Unkenntlichkeit verkürzt, ohne Berücksichtigungneuer Erkenntnisse, und kommt zu einem Schluss, der sogar ausdieser (überholten) Sicht abenteuerlich ist: Erst um das fünfte Lebensjahrherum seien Kinder dazu „in der Lage, zu erkennen, dass eineEigenreaktion eine Gegenreaktion im Gegenüber auslösenkann“ – nur unter der Voraussetzung allerdings, dass sich die Eltern bisdahin „phasenspezifisch verhalten“, nämlich (Winterhoff ist geradezuvernarrt in den Ge<strong>danke</strong>n) gebührend „abgegrenzt“. Das erfüllt, mitVerlaub, den Tatbestand der Irreführung der Öffentlichkeit. Nicht imfünften Lebensjahr, sondern im fünften Lebensmonat beginnen Kinder,„einen Zusammenhang zwischen den eigenen und den bei anderenwahrgenommenen Gefühlen herzustellen“ (Dornes), entdecken „dieWirkungen (ihres) Verhaltens auf Personen“ (Rolf Oerter, Leo Montada,Entwicklungspsychologie). Mit spätestens einem Jahr „können sie ihrVerhalten auf der Grundlage der Informationen, die sie aus den Gesichtsausdrückender Erwachsenen ziehen, anpassen“ (Ciaramicoli). Sieverfügen nun schon über ein kleines, rasch sich erweiterndes mimischesund gebärdensprachliches Repertoire, bringen es zum Einsatz in der Erwartungbestimmter Reaktionen des Gegenübers und zeigen Enttäuschung,wenn diese nicht erfolgen. So vollzieht sich ein spielerischer präverbalerDialog, der für das Kind per se befriedigend ist (also keineswegsdarauf abzielt, irgendetwas durchzusetzen). Der Säugling stellt sich hochsensibel auf seinen Interaktionspartner ein. Feinste Gefühlsnuancen derBezugsperson teilen sich ihm mit. Er „antwortet“ nicht nur unwillkürlichaffektiv,sondern auch so, dass echtes Interesse, Erkundungslust und12
Verständnis für Zusammenhänge erkennbar werden (letzteres umsomehr, je entspannter er ist). Fazit: Kleine Kinder sind weder asozial,noch „wähnen (sie) sich allein auf der Welt“ (Winterhoff). Zwarfehlt ihnen das Vermögen, auf der Reflexionsebene zu konstatieren, dassandere Menschen andere Menschen sind, aber sie bemerken es. Undzeigen durch ihr Verhalten, dass sie es bemerkt haben. Schon ein 60 Tagealter Säugling fordert die Mutter durch animierende Gebärden und„bestimmte typische Begrüßungsreaktionen“ (Dornes) zum Spieldialogauf. Er sucht dabei nicht einfach nur Triebbefriedigung, sondern das„Gespräch“.Kinder sind also sehr früh und ohne jede diesbezügliche Unterweisung(zwanglose Kommunikation genügt) in der Lage, zu „erkennen“,dass eine Eigenreaktion eine Gegenreaktion im Gegenüber auslösenkann, wobei nicht in erster Linie der Konflikt den Lernprozess befördert,wie man lange glaubte, sondern die wechselseitige positive Orientierunganeinander. Man kann diese Art des vorbegrifflichen Erkennens, einenBegriff von Edmund Husserl aufgreifend, als „erkennendes Fühlen“ bezeichnen.Mutwillig abgegrenztes Verhalten ist unnötig. Das gesundeGrenzerlebnis als immer deutlicheres Erlebnis des „Hier ich, dort du“ entstehtdurch ein vorsprachliches Spiel der Mitteilungs- und Antwortgesten.Nach Winterhoff „unterliegt das Kind (...) vom zehnten bis zumsechzehnten Lebensmonat der Vorstellung (!), es könne allesund jeden steuern und bestimmen, genieße also absolute Autonomie.“Er rezipiert hier die Theorie der infantilen Grandiosität, als wärennie Zweifel an ihr laut geworden. Heute wird sie zumindest stark relativiert.„Der Säugling denkt sich nicht als allmächtig“, stellt Dornes klar.Allenfalls hat er „fälschlich oder zu Recht das Gefühl, in der Außenwelt(...) etwas bewirken“ zu können. Die Annahme, zu den intrapsychischenStrukturen des Kleinkindes gehöre ein so genanntes Größenselbst mitOmnipotenzfantasien, sei überholt. Wozu man auf gut schwäbisch anzumerkengeneigt ist: „Koiner hetts denkt!“ Es war ja auch wirklich einekuriose Theorie: Das kleine Würmchen in seiner existenziellen Zuwendungsbedürftigkeit,den Erwachsenen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert,spricht im Geiste zu sich: „Ich kann machen, was ich will! Ich kann13
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Herbst 2009Studienkreis für Neue P
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Fabian, WolfgangFreier JournalistHe