vervollständigen: Spannungen in der Peer-Group machen manchen Kindernderartig zu schaffen, dass sie völlig die Fassung verlieren. (Und oft erfahrenwir nichts davon!) Dasselbe gilt für die Angst vor all den Schrecknissen, diesich zwar außerhalb der eigenen Lebenswelt ereignen, aber ständig sozusagenante portas zu lauern scheinen. Im Medienzeitalter erhalten die Kinder schonfrüh Kunde von Kriegen und Hungersnöten, Entführungen, Anschlägen, Naturkatastrophenetc. Auch deshalb ist die Welt der inneren Bilder heute so oft aufungesunde Weise fremdbestimmt. Sie gleicht dann eher einem Ausstellungsraum,in dem angelieferte Horrorbilder hängen, als einem Atelier, wo, angeregtdurch die Schönheiten der Welt, Eigenes gestaltet wird. Alarmierend oftbegegnen uns Kinder, die im krampfhaften, kontinuierlich fehlschlagendenBemühen, Unfassbares zu verarbeiten, nur noch stereotyp immer dieselbenGräuelszenen malen oder spielen können. Und das kommt, wohlgemerkt, inden „besten Familien“ vor. Auch medienpädagogisch verantwortungsvolle Elternkönnen ihre Kinder nicht immer davor bewahren. Die Schreckensmeldungenverbreiten sich sozusagen pandemisch auf den Schulhöfen, ja schon inden Kindergärten.Fazit: Bei vielen, wir meinen: den meisten „Problemkindern“ liegt heuteein chronischer Überforderungszustand vor, bei dessen Entstehung einganzes Bündel von Faktoren zusammenwirkt. Partnerschaftliches Erziehungsverhaltengehört eher selten dazu.Man weiß heute (oder könnte zumindest wissen), dass sich viele Kinderund Jugendliche in der bezeichneten Verfassung paradox verhalten.Sie haben Angst. Eine unklare, diffuse Angst. (Alois Hicklin spricht in seinemBuch Das menschliche Gesicht der Angst vom „angstgestimmtenWeltverhältnis“.) Sie fühlen sich bedrängt, eingeschnürt, in die Enge getrieben.Aber ihr äußeres Benehmen legt eher den gegenteiligen Schlussnahe: Aufmüpfigkeit, Unruhe, Leistungsverweigerung, clowneskes Verhalten,Aggressionen, Schuleschwänzen. Oder die defensive Variante:innerer Rückzug, demonstrative Gelangweiltheit, Abbruch der Sozialkontakte,Flucht in Traumwelten respektive virtuelle Welten.Das ist im Prinzip alles bekannt. Aber was tut man? Man bescheinigtden Betroffenen entweder einen neurologischen Defekt (hoch beliebt:46
ADHS) oder eben, Winterhoff folgend, eine frühkindlich-narzisstischeStörung: das „Tyrannen“-Syndrom.„Kinder (sind) das helle Licht des Lebens“, schrieb <strong>Janusz</strong> <strong>Korczak</strong>.„Wir schüchtern sie nicht ein, wir bürden ihnen nichts auf und plagen sienicht.“ Irgendwie könnte alles so einfach sein, nicht wahr? Keine Panik,keine Panik, wir hören ja schon auf zu träumen und singen mit demZeitgeist: Die Zeiten der Kinder aus Bullerbü sind vorbei ...●Das klingt nun alles viel alarmistischer, als es gemeint ist. An dieser Stellesei noch einmal betont, dass wir Winterhoffs Behauptung, von 25 Kinderneiner Schulklasse seien heute im Schnitt 21 bis 23 gestört, für eineunverantwortliche Übertreibung halten. Dennoch besteht Grund zur Sorge.Aber nicht wegen des vermeintlichen Angriffs einer Armee von kleinenTyrannenmonstern auf unsere abendländische Zivilisation; nicht weiles den heutigen Eltern an Ehrgeiz ermangelte, ihre Sprösslinge von kleinauf psychisch zu trainieren. Was uns in erster Linie beunruhigen muss,ist die rasante Ausbreitung des oben umrissenen Überforderungs-Syndroms.Doch Winterhoff will von alledem nichts wissen. Pädagogen, die,wenn sie „eine Fehlhaltung bei einem Kind beobachten“, zunächsteinmal konzidieren, dass eine Notlage dahinter stecken könnte, gehenihm auf die Nerven. „Statt zu handeln“ (...), betrachtet (der Erzieher)das Kind unter dem Aspekt der Sorge“, schreibt er im erstenBuch angewidert. Das sei ein „Drama“. Auch wir empfehlen Zurückhaltungmit medizinischen Diagnosen, dringend sogar, aber umso mehrSorgfalt sollte im Bemühen um ein individuelles (!) Verständnis der jeweiligenProbleme und des möglicherweise sie auslösenden Leids walten.Einige abschließende Bemerkungen noch zum Thema „Partnerschaftskonzept“:„Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen“, lautetein Buchtitel von Jirina Prekop und Christel Schweizer. Das ist wunderbarformuliert. Ein Abwandlungsvorschlag: Kinder sind Partner, die einenortskundigen Scout brauchen. Man kann doch Gästen den Weg zeigen,ohne ihnen gleich die Rolle von „Unterstellten“ zuzuweisen, Herr Winterhoff,Herr Bueb! Man kann sie doch aktiv teilnehmen lassen an derUmgebungserkundung und Erstellung einer Wanderkarte für alsbaldige47
- Seite 1 und 2: Henning KöhlerDressurpädagogik? N
- Seite 3 und 4: gungen des herkömmlichen Erziehung
- Seite 5 und 6: Key in ihrem Buch Das Jahrhundert d
- Seite 7 und 8: ten Buch (Tyrannen müssen nicht se
- Seite 9 und 10: der werden (in fortschrittlichen p
- Seite 11 und 12: fen, dass der Mensch als hochgradig
- Seite 13 und 14: Verständnis für Zusammenhänge er
- Seite 15 und 16: Winterhoff heißt). Die Passage ist
- Seite 17 und 18: geldiagnostische Etikettierung, die
- Seite 19 und 20: griff Schindluder getrieben (darauf
- Seite 21 und 22: „Moralerziehung“, verstanden al
- Seite 23 und 24: „Kinder sind vollwertige Menschen
- Seite 25 und 26: sagt: ´Denn wir müssen zu ihrer B
- Seite 27 und 28: Förderwahn, Abstiegsangst, Resigna
- Seite 29 und 30: zum Therapeuten`.“ Hauptsache Erf
- Seite 31 und 32: Toleranzrahmen immer enger zu ziehe
- Seite 33 und 34: Zwei pädagogische Traditionsström
- Seite 35 und 36: unter den Willen des Erziehers“ l
- Seite 37 und 38: einfach „großgezogen“, sondern
- Seite 39 und 40: der Selbstbewahrung kontinuierlich
- Seite 41 und 42: Zavaglia vom Nürtinger Janusz-Korc
- Seite 43 und 44: fer). Das bilderzeugende Vermögen
- Seite 45: nander umzugehen. Diese Mitbetroffe
- Seite 49 und 50: schwert ihn. „Es gibt im Grunde g
- Seite 51 und 52: en. Man ahnt, welche richtigen Beob
- Seite 53 und 54: hier skizzierten Auffassung überei
- Seite 55 und 56: nach Winterhoff exemplarisch intuit
- Seite 57 und 58: onsmuster aufmerksam werden und die
- Seite 59 und 60: aucht, bis es tut, was er verlangt.
- Seite 61 und 62: ähnlich wie die gegenseitige Über
- Seite 63 und 64: Nach einer aktuellen bundesweiten S
- Seite 65 und 66: Gleichzeitig sank die Bereitschaft,
- Seite 67 und 68: ● Und natürlich: Leistung, Leist
- Seite 69 und 70: klasse litten unter psychiatrisch r
- Seite 71 und 72: immer wieder abverlangt werden, dam
- Seite 73 und 74: das heißen soll, „im engeren Sin
- Seite 75 und 76: Herbst 2009Studienkreis für Neue P
- Seite 77 und 78: Fabian, WolfgangFreier JournalistHe