viele so genannte Kindheitsexperten geben sich dafür her, diesen Irrsinnabzusegnen oder gar aktiv daran mitzuwirken. Und dann wundert mansich, dass immer mehr Kinder äußern, sie wären wohl besser im Himmelgeblieben.Angesichts dieser keineswegs übertriebenen Lagebeschreibung mutetdas populäre „Erklärungs“-Modell, die Probleme der heutigen Kinderrührten in erster Linie davon her, dass sie nicht gelernt hätten, sich diszipliniertzu verhalten und Anweisungen zu befolgen, nachgerade groteskan, zumal wenn man noch die oben aufgezählten Zivilisationsfaktoren inBetracht zieht, die, relativ unabhängig von Elternhaus und Schule, zurDesorientierung der Kinder beitragen.Erziehung ohne tiefe, warme, wir sagen hier ganz bewusst: freundschaftlicheVerbundenheit zwischen Erwachsenen und Kindern wird immerweniger gelingen. Wir stehen an einem Wendepunkt. Vom alten Erziehungsparadigmazum dialogischen Prinzip, muss heute die Devise lauten.Alle Experten sind aufgerufen, durch ihr öffentliches Wirken zur Verbesserung,d.h. Erwärmung, Entspannung und Entgiftung des sozialenKlimas in Familien, Kindergärten und Schulen beizutragen. Winterhoffund Bueb tun das Gegenteil, wenn auch wohl unabsichtlich.Siehe, ein Mensch!Abschließend noch ein Wort zu Winterhoffs, wie wir meinen, grenzwertigjustiziabler und keineswegs wissenschaftlicher Behauptung, vor demachten Lebensjahr verfügten Kinder noch über keinerlei Merkmale einermenschlichen Persönlichkeit. Im ersten Buch behauptet er dies kategorisch,im zweiten relativiert er es scheinbar ein wenig und spricht voneinem „tragischen Definitionsproblem“, welches darin bestehe, dass„Menschen, (die) schon Säuglingen eine eigene Persönlichkeitzuschreiben, (...) etwas anderes (meinen) als das, was im psychiatrischenSinne die Persönlichkeit eines Menschen ausmacht.(...) Die Persönlichkeitsentwicklung im engeren Sinne setzt (...)erst im Alter von etwa acht oder neun Jahren ein.“ Was immer72
das heißen soll, „im engeren Sinne“, lesen wir demgegenüber in demschon zitierten aktuellen Standardwerk Entwicklungspsychologie von RolfOerter und Leo Montada (Hrsg.): „Man sagt (...), Kinder sind schon kleinePersönlichkeiten. In der Tat (lässt sich dies) auch durch wissenschaftlicheUntersuchungen (...) ausmachen. Darüber hinaus entwickelt sichaber die kindliche Persönlichkeit weiter, sie wird gefestigter und´reifer`.“ Bereits Klein- und Vorschulkinder können „sehr konkrete beobachtbareZüge (ihres) Selbst“ beschreiben und „wissen (...), dass ihrVerhalten sich auf das Verhalten anderer auswirkt“ (was Winterhoff, wiewir gesehen haben, vehement bestreitet).Macht man die Persönlichkeit, wie es in der empirischen Entwicklungspsychologieüblich ist, an Selbstrepräsentationen und dem selbstreferenziellenVermögen fest, muss spätestens ab dem zweiten Lebensjahrvon einer Persönlichkeitsstruktur gesprochen werden. Man kann aberauch den Standpunkt vertreten, das „Persönliche“, verstanden als augenscheinlicherAusdruck der Individualität, offenbare sich in den diskretenEigentümlichkeiten des Zur-Welt-Seins. Nicht was die Kinder in diesemoder jenem Alter können, zeigen, lernen, ist hierbei von Belang,sondern wie sich das jeweilige Kleinkind im Unterschied zu allen anderenverhält, entwickelt, mitteilt. Der Mensch offenbart seine Einzigartigkeit,noch ehe er zur bewussten Selbstbezüglichkeit durchbricht. Doch gehenwir noch einen Schritt zurück, zum ursprünglichsten Ausdruck des Individuellen,welches den Kern der „Persönlichkeit“ darstellt und ihrem Werdenvorausgeht. Kleiden wir das Phänomen in eine schlichte Frage:Wenn mich ein Säugling anblickt ... wer oder was blickt mich da an?Nun? Ein Haufen Gene? Eine noch ungeformte Gehirnmasse? Weroder was spricht aus dem Blick des Kindes? – Überlasse ich mich derMagie dieses Ereignisses, stellt sich ein Evidenzerlebnis ein, für das esnur eine angemessene Formulierung gibt: Ecce homo! Siehe, einMensch! Und das heißt: eine Individualität. Eine Persönlichkeit im Statusnascendi. Wer das nicht wahrzunehmen vermag, sollte die Finger vonKindern lassen.Man kann gegenüber der, wie wir meinen, gefährlichen Winterhoff’schenThese allenfalls das Folgende konzidieren: Im Alter von ca.neun Jahren findet ein markanter Entwicklungsschritt statt, der dazu73
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Henning KöhlerDressurpädagogik? N
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Winterhoff heißt). Die Passage ist
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geldiagnostische Etikettierung, die
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griff Schindluder getrieben (darauf
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- Seite 23 und 24: „Kinder sind vollwertige Menschen
- Seite 25 und 26: sagt: ´Denn wir müssen zu ihrer B
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- Seite 29 und 30: zum Therapeuten`.“ Hauptsache Erf
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- Seite 45 und 46: nander umzugehen. Diese Mitbetroffe
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